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„Da liegen wir auch, wenn wir tot sind“

Die Kinder von Bernhard Elsner gehen unverkrampft mit dem Tod um. Das liegt an einer besonderen Patenschaft.

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© S. Kahnert/dpa

Von Jörg Schurig

Wenn Bernhard Elsner auf dem Neuen Annenfriedhof in Dresden spazieren geht, hat er das eigene Ende vor Augen. Hier will der heute 34-Jährige seine letzte Ruhe finden, so wie seine Frau und später wohl auch die drei Kinder. Die Grabstätte gibt es schon seit 1924, auch wenn sie bisher einen anderen Namen trägt. Elsners haben die Patenschaft für ein denkmalgeschütztes Grab übernommen, das einer früheren Dresdner Unternehmerfamilie gehörte. Von ihr gibt es nur einen Nachfahren. Er willigte ein, dass die Elsners das Grab pflegen und es später einmal für sich nutzen können.

„Was wir sind, werdet ihr sein. Was ihr seid, waren wir einst“. Dieser Spruch soll von einem römischen Grabstein stammen und findet sich heute so oder in abgewandelter Form auf vielen Friedhöfen auch in Deutschland. Er verbindet die Lebenden mit den Toten und gibt einen Hinweis auf die Verantwortung für alle, die nur noch Erinnerung sind – ob als Sehnsucht, Grabstein, Foto, Anekdote oder Erbe. Die Toten bleiben ein Teil der Lebenden. Aber gilt diese eherne Regel wirklich noch? Der Tod ist heute oft aus dem Leben verbannt, selbst auf Friedhöfen. Das hat auch Bernhard Elsner irgendwann gespürt. Der Physiotherapeut, der nahe dem Annenfriedhof lebt, sah dort viele verwilderte Gräber. Den Friedhof im Nordwesten nutzten er und seine Familie oft zum Spazieren, manchmal auch als Abkürzung zwischen zwei Hauptstraßen. „Wir schätzen die Ruhe und parkähnliche Atmosphäre, aber auch die Bauten und Gräber“, sagt der Familienvater. Bei einem „Tag des Friedhofes“ wurden sie auf das Angebot der Grabpatenschaften aufmerksam.

„Wir tragen zum Erhalt des Friedhofes bei und tun etwas für unser Viertel“, sagt Elsner und spricht von einer Win-Win-Situation. Rund 1 500 Euro haben sie in die Sanierung des Grabes gesteckt. Bis dato war Bernhard Elsner der Gedanke an eine anonyme Bestattung nicht fremd. Heute ist er froh darüber, sich anders entschieden zu haben. Im Freundeskreis habe das zwar für Irritationen gesorgt. Manche hätten das vermutlich für einen Spleen gehalten. Elsners Kinder gehen unbefangen damit um. „Da sagt der Achtjährige zum Dreijährigen: ,Da liegen wir auch, wenn wir tot sind`“, sagt der Vater.

Jens Börner, Friedhofsleiter im Urnenhain Dresden-Tolkewitz, erwähnt finanzielle Gründe aus einer anderen Perspektive. „Friedhöfe haben zunehmend Probleme, sich durch Gebühren zu finanzieren. Und es gibt immer mehr Schwierigkeiten, historische Grabmale zu unterhalten.“ Im Urnenhain, der aus der Reformzeit am Anfang des 20. Jahrhunderts stammt, gibt es 473 Einzeldenkmale, bei den wenigsten noch eine Familie dazu. Für noch mehr als 400 Gräber werden Paten gesucht. Börner ist für Transparenz: „Alle Punkte müssen klar sein. Ein enttäuschter Pate nutzt uns nichts.“

Friedhof zum Trösten

„In meinen Augen wird das Thema Friedhof, Tod und Bestattung zu wenig diskutiert. Vielen Leuten fehlt der unbefangene Zugang, obwohl es gerade hier wichtig ist, offen darüber sprechen“, sagt die Dresdner Friedhofsverwalterin Lara Schink. Friedhöfe seien keine Orte, die ihren Besuchern schlechte Gefühle vermitteln sollten: „Der Grund für unsere so grüne Friedhofskultur in Deutschland ist doch, dass der Friedhof Trauernde aufmuntern und trösten soll. Das Grabbeet gibt Angehörigen die Möglichkeit, etwas für den Verstorbenen zu tun, in einer Art Ritual mit diesem verbunden zu bleiben.“

Lara Schink sieht in einem Grab die Möglichkeit, geliebten Menschen ein individuelles Denkmal zu setzen. Das sei gerade bei historischen Grabmalen erkennbar. Dennoch gehe der Trend heute zur anonymen Bestattung -– ob auf der grünen Wiese, im Friedwald, zur See oder im Kolumbarium. Schink streitet nicht ab, dass „pflegeleichte“ Angebote wie diese Vorteile bieten. Oft würden Angehörige aber später ihre Entscheidung bereuen. Häufig würden sich Menschen ohne Rücksprache mit den Angehörigen für die „grüne Wiese“ entscheiden, um niemandem zur Last zu fallen: „Doch die Hinterbliebenen wünschen etwas anderes.“

„Grabpatenschaften sind eine gute Möglichkeit, etwas zum Erhalt der Kulturgeschichte des eigenen Stadtviertels zu tun“, sagt Schink. Auch der Umstand, dass sich Familien heute oft über das ganze Land zerstreuen, sei ein Argument für eine Familiengrabstelle, nicht nur als Ort, an dem man immer mal wieder zusammenkommen könne. Schink sieht in Friedhöfen eine Art Anker für Familien. Auch das finanzielle Argument für eine Grabpatenschaft führt sie an. Prunkvolle Grabmale von einst wären für die meisten Menschen heute kaum noch bezahlbar.

(dpa)