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Chaos bei Flüchtlingsregistrierung

Hunderttausende Flüchtlinge ließen sich 2015 in Deutschland registrieren. Die Behörden waren mit den Ansturm völlig überfordert, so dass Betrüger freie Bahn hatten. Das wird im Berliner Ausschuss zum Terroranschlag klar.

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© Armin Weigel/dpa

Berlin. Chaos und Überforderung - das Durcheinander bei der Registrierung der zahllosen Flüchtlinge in den Jahren 2015 und 2016 ist durch Befragungen im Berliner Terror-Untersuchungsausschuss erneut deutlich geworden. Zeugen aus dem Bundesamt für Migration (BAMF) und dem Berliner Landesamt für Flüchtlingsangelegenheiten beschrieben am Freitag, wie der Ansturm der Asylbewerber die üblichen Mechanismen bei der Erfassung außer Kraft setzte und die Behörden den Überblick über Zahlen und Identitäten verloren.

Volker Mäulen vom Bundesamt sagte, 2015 und 2016 sei vieles „aus der Not heraus“ passiert. „Infolge der Massen, die auftraten, wurden viele nicht so registriert, wie das hätte geschehen sollen“, sagte er. Es habe auch keine zentrale Datei zur Registrierung gegeben. „Die Flüchtlinge sind unerfasst durch Deutschland gereist.“

Karla Merkel, früher Gruppenleiterin im Lageso und jetzt im Berliner Landeamt für Flüchtlingsangelegenheiten, sagte: „Es wurde das Verfahren stets und ständig geändert, um des Ansturms Herr zu werden.“ Von Oktober 2014 an und über das ganze Jahr 2015 seien die Sachbearbeiter durch die schiere Menge der Flüchtlinge völlig überfordert gewesen. Fast jeden Tag habe es Sitzungen des Krisenstabs gegeben. Alles sei nur darauf ausgerichtet worden, „das Chaos zu bewältigen“, sagte die Zeugin. „Es hat uns einfach überrollt.“

Mehrfach hätten ihre Kollegen damals festgestellt, dass Flüchtlinge sich doppelt oder öfter als Asylbewerber registrieren ließen, schilderte Merkel die Probleme. Das sei jeweils nur zufällig anhand von Fotos aufgefallen, weil Fingerabdrücke erst im Lauf des Jahres 2016 elektronisch registriert und verglichen werden konnten.

Auch der spätere islamistische Attentäter Anis Amri habe sich im Jahr 2015 dreimal in Berlin mit verschiedenen falschen Identitäten registrieren lassen, am 28. Juli, 10. September und 11. Dezember, und zum Teil auch direkt Bargeld kassiert. „Wir konnten das damals nicht feststellen, weil wir nicht über Fingerabdrücke die Identität registrierten.“ Allerdings habe es am 2. November 2015 einen Akteneintrag zu einer Alias-Identität von Amri gegeben, vermutlich wegen eines Anrufs der Polizei beim Lageso.

Amri war am 19. Dezember 2016 mit einem entführten Lastwagen in den Weihnachtsmarkt gefahren, er tötete zwölf Menschen und verletzte rund 70. Der Polizei war Amri lange zuvor als Drogenhändler und potenzieller Islamist bekannt. Wegen einiger Pannen bei den überlasteten Behörden wurde er aber nicht in sein Heimatland Tunesien ausgewiesen. Die Polizei bemühte sich zudem nicht intensiv, ihn in Untersuchungshaft zu bringen, weil parallel Dutzende islamistische Gefährder beobachtet werden mussten. (dpa)