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Camerons Triumphzug

David Cameron war fast schon abgeschrieben. In einer furiosen Wahlnacht kam er mit einer absoluten Mehrheit zurück. Europa und Schottland lauten nun die Baustellen für den neuen und alten Premier.

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© dpa

Von Michael Donhauser

London. Tage vor dem Wahltermin hatte David Cameron noch dreingeschaut wie ein geprügelter Hund. „Was soll ich denn noch machen?“, hatte er resigniert gefragt, als ihm wieder einmal mangelnder Esprit im Wahlkampf vorgeworfen wurde. Als die Wahllokale ihre Türen schlossen, war klar: Die britische Parlamentswahl 2015 würde zum Triumphzug des David Cameron werden. Die „Reelection“ - seine Wiederwahl zum Premierminister - war das Projekt, dem er in den vergangenen fünf Jahren alles unterordnete. Gemessen an seiner Zielsetzung hat Cameron alles richtig gemacht - die Meinungsforscher, die teils seine Ablösung vorausgesehen hatten, fast alles falsch.

Vergessen sind die blauen Flecken, die sich Cameron in der Europapolitik geholt hatte, vergessen die peinlichen Fragen, denen er sich etwa im Murdoch-Untersuchungsausschuss zu stellen hatte. Der britische Wähler hat mit großer Mehrheit Camerons Austeritätspolitik der massiven Sozialkürzungen toleriert und ist ihm bei seinen wesentlichen Wahlkampfaussagen gefolgt: Starke Fokussierung auf die Wirtschaft, Furcht vor einer Abspaltung Schottlands, betrieben durch die Unabhängigkeitspartei SNP. Cameron, gestern noch als Episode in der britischen Parteipolitik belächelt, ist zum „Goliath“ Cameron geworden.

Volksentscheid zu EU „eher früher als später“

Es war noch nicht richtig hell am Freitagmorgen in London, da nahm Cameron schon das Wort in den Mund, dass er Wahlkampf geflissentlich vermied: Europa. Mit einer eigenen Mehrheit im Rücken wird er das geplante Referendum über einen Verbleib Großbritanniens in der Europäischen Union vorantreiben. „Eher früher als später“, werde der Volksentscheid kommen, mutmaßt der Londoner Politik-Professor Tony Travers. Vorher will er noch das britische Verhältnis mit Brüssel neu verhandeln.

Und das wird schwierig. Die absolute aber dennoch dünne Mehrheit im Parlament stärkt die Flügel der Fraktion - auch den rechten. Koalitionsdisziplin ist jetzt kein Argument mehr. „Das könnte Camerons Position verhärten“, sagt Christian Odendahl, Chefökonom der Londoner Denkfabrik Centre for European Research (CER). In Brüssel gibt es aber kaum Spielraum für Camerons Hauptforderung, die Arbeitnehmerfreizügigkeit innerhalb der EU aufzuweichen. Aus Brüssel zog gleich am Freitag der weiße Rauch der Friedenspfeife über den Ärmelkanal. „Die EU-Kommission ist bereit, mit der neuen britischen Regierung konstruktiv zusammenzuarbeiten“, sagte Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker.

Cameron hat fünf Jahre damit zugebracht, Reformen in der Europäischen Union einzufordern. Verschwiegen hat er dabei, wie reformbedürftig sein eigenes Land eigentlich ist. Auch das haben die Wahlen offenbart. Das überholte Wahlsystem erbrachte massive Ungerechtigkeiten. Die schottische Nationalpartei erreichte mit rund 1,5 Millionen Stimmen 56 Sitze im Parlament. Die rechtspopulistische UKIP von Nigel Farage kam mit mehr als der doppelten Stimmenzahl nur auf ein Mandat.

„Der schottische Löwe hat gebrüllt“

Schottland selbst ist das nächste Problem. Der nördliche Landesteil ist nach der Wahl fester denn je in der Hand der Unabhängigkeitspartei SNP. „Der schottische Löwe hat gebrüllt“, sagte der künftige Fraktionschef Alex Salmond - ob das eher Drohung oder Analyse war, blieb Auslegungssache. Salmonds kongeniale Parteichefin Nicola Sturgeon betonte zwar erneut: „Bei dieser Wahl ging es nicht um die Unabhängigkeit.“ Doch dass die SNP von ihrem Herzensprojekt ablässt, ist insbesondere für den Fall nicht zu erwarten, dass Großbritannien tatsächlich in Richtung eines EU-Austritts driften sollte.

„So schnell wie ich nur kann“, will Cameron die nach dem Schottland-Referendum versprochenen Befugnisse von London nach Edinburgh übertragen, versprach er. Offenbar ist die Botschaft auch am rechten Tory-Rand angekommen. „Es muss irgendeine Art von Föderalismus-Angebot geben“, sagte Londons Bürgermeister Boris Johnson, der sein Direktmandat gewann und ins Westminster-Parlament einzieht. Er gilt als möglicher Nachfolger Camerons, nachdem der Regierungschef schon vor der Wahl angekündigt hatte, er wolle nicht mehr als zwei Amtszeiten in der Downing Street bleiben.

An Rücktritt dachten am Freitag aber nur seine Konkurrenten. Die Parlamentswahl, von Kommentatoren mit einem politischen Tsunami verglichen, führte für nicht weniger als drei Parteichefs zum vorläufigen Karriereende. Ed Miliband, vor fünf Jahren in einem spektakulären Bruderkampf gegen David Miliband ins Amt gekommen, musste sich bei seinen Parteifreunden entschuldigen. Nick Clegg, scheidender Vizepremier und Chef der auf acht Mandate dezimierten Liberaldemokraten, blieb nur noch Resignation. Und UKIP-Chef Farage, der nicht einmal sein Mandat gewinnen konnte, blieb nur Galgenhumor: „“Vor fünf Jahren lag ich am Wahltag nach einem Flugzeugabsturz auf der Intensivstation. Verglichen damit geht es mir verdammt gut.“ (dpa)