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Bunter die Haut

Wer immer schon Arielle auf seinem Körper tragen wollte, dem hilft Katinka gern. Manche Wünsche sind aber tabu.

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© Sven Ellger

Von Henry Berndt

Dürrröhrsdorf-Dittersbach/ Dresden. Ihre Mutter hat immer gesagt: „Du kannst dir aussuchen: ein Tattoo oder ein Piercing. Und danach gibt’s nichts mehr.“ Der Vereinbarung hielt etwa zwei Monate. Katinka war damals 17 und lebte bei ihrer Familie in Dürrröhrsdorf-Dittersbach. Erst kam das Nasenpiercing – der Klassiker – und wenig später war die Lippe dran. „Auf dem Dorf war so etwas damals völlig ungewöhnlich“, sagt die heute 29-Jährige. „Aber ich wollte mich auch abheben. Diese ganzen Mädchensachen haben mich nie interessiert.“ Mit 19 zog Katinka (die eigentlich anders heißt, sich aber nicht viel aus Namen macht) aus Dürrröhrsdorf weg und landete direkt in der Dresdner Neustadt.

Ihr Geld verdiente sie anfangs als Heilerziehungspflegerin, begleitete Behinderte 24 Stunden lang im Alltag. Die schlimmen Zustände in der Pflegebranche verhagelten ihr allerdings bald die Freude an diesem Job. Zeitweise jobbte sie in Kneipen und Spätshops. Irgendwann kaufte sie sich aus einer Laune heraus eine Tätowiermaschine. „Das war in meiner Punkerzeit, und ich wollte eigentlich nur Ledersachen tätowieren.“ Dann erst brachte sie ein Freund auf die Idee: Ob sie diese Kunst denn nicht mal richtig lernen wolle? Talent zum Zeichnen hatte sie ganz offensichtlich. Also warum nicht? „Schon als kleines Mädchen haben mich die alten Seemannszeichen auf dem Arm des Opas meiner besten Freundin fasziniert“, sagt sie. „Der hatte etwas auf der Haut, was nicht wieder abging.“ Später schmückte sie sich liebend gern mit Abziehtattoos oder bekritzelte sich mit Kuli. Und dennoch: Als Katinka 2009 ihre Ausbildung in der „Inkerei“ in der Dresdner Neustadt begann, hatte sie noch keine einzige Tätowierung. Dafür aber 23 Piercings. „Ich bin froh, dass ich so lange gewartet habe. Sonst hätte ich jetzt sicher irgendwelche bescheuerten chinesischen Zeichen auf der Wirbelsäule.“ Für sie war klar: Mit jedem Tattoo, das auf ihren Körper kommt, muss sie eine persönliche Geschichte verbinden. Etwa mit Rio Reiser und Nina Hagen, die sie geprägt hätten und deren Porträts nun ihre Oberschenkel zieren.

Arschgeweih ist ausverkauft

Nach den ersten zarten Schriftzügen am Ellbogen war der Bann gebrochen. Erst waren die Arme dran, dann die Beine. „Dabei habe ich echte Panik vor Nadeln und vorm Blutabnehmen“, sagt sie. Der Schmerz beim Tätowieren habe sie aber nie gestört. Selbst verbrachte sie das erste Lehrjahr in der „Inkerei“ allerdings damit, auf Papier zu zeichnen und auf Schweinehaut zu üben. Danach mussten Freunde und Verwandte als erste Versuchskaninchen herhalten. Bald stach sie auch Motive in ihre eigenen Beine. Als Erstes einen Kolibri mit Gasmaske, dessen verwaschene Konturen sich deutlich von den späteren Meisterwerken unterscheiden. Der Vogel stand für sie als Symbol für die bedrohte Natur. Überhaupt zählen Tiere zu ihren Lieblingsmotiven. Sie hat einen Frosch auf dem Arm, einen Kakadu am Hals, einen Marienkäfer am Bein und eine Motte auf der Hand. Auf der Tattoo Convention an diesem Wochenende in der Dresdner Messe will Katinka auch mit ihrem kleinen Zoo für Aufmerksamkeit sorgen.

Tätowierer ist in Deutschland kein anerkannter Beruf. Es gibt keine Zulassung, keine Prüfung, kein offizielles Zertifikat. „Theoretisch kann jeder Fleischer sich eine Maschine kaufen und loslegen“, sagt Katinka. Und wenn man Pech habe, könne man durchaus auch in Dresden an so einen Fleischer geraten. Wer dagegen Glück hat, der landet in der „Inkerei“, die so gar nichts mehr mit dem schmuddligen Hinterzimmer-Image einer abgeranzten Tätowierstube gemeinsam hat. Regelrecht stylisch kommen die Räumlichkeiten auf dem Bischofsweg nahe dem Alaunpark daher und Chamäleon Monty sorgt in seinem Terrarium für die nötige chillige Atmosphäre.

Vier Tätowierer arbeiten hier. Katinkas Arbeitsplatz ist hinten links, erkennbar an den Bildern, Plattencovern und Autogrammen von David Hasselhoff – dem Idol ihrer Jugend. Außerdem reihen sich in ihrer Ecke besonders viele Farben im Regal aneinander. Interessiert sich ein neuer Kunde für besonders bunte und nicht allzu realistische Motive, dann ist er bei Katinka am besten aufgehoben. Besonders Comics sind ihre Spezialität. Von Batman bis Bambi erfüllt sie alle Wünsche. Auch Susi und Strolch, Schneewittchen. Dumbo und Arielle sind gefragt.

Und was ist mit Unendlichkeitszeichen oder der beliebten Feder? „So was kann ich nicht mehr sehen“, sagt sie. „In drei Jahren schämt sich jeder dafür.“ Deswegen versuchen sie und ihre Kollegen die Kunden auch davon zu überzeugen, etwas Persönlicheres, Individuelles auszuwählen. Der Kreativität sind dabei keine Grenzen gesetzt. Neulich ließ sich jemand von ihr das Wort „Das“ hinter ein Ohr tätowieren. Seine Mutter habe ihm immer gesagt, er solle sich „das“ hinter die Ohren schreiben – origineller als ein Arschgeweih.

Der Kunde ist auch in der „Inkerei“ König, keine Frage. Und doch erfüllen die Experten hier nicht jeden Wunsch. Wer sich etwa Hörner in die Stirn pflanzen lassen will oder einen Teller in die Unterlippe, der muss sich anderswo umsehen. „Das ist mir selbst auch zu abgefahren“, sagt Katinka, die sonst aber noch viel vor hat mit ihrem Körper. „Ich hätte gern mal alles voll, will mir aber Zeit lassen“, sagt sie. Nichts ist doch schlimmer, als irgendwann mit sich selbst fertig zu sein.

Infos zur Messe im Internet.