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Bunte Zettel an der Kirchentür

Mit einer außergewöhnlichen Aktion haben Christen an eine Eigenschaft erinnert, die viele leider schon vergessen haben.

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© Klaus-Dieter Brühl

Von Jörg Richter

Lenz. Der Anblick der Lenzer Kirchentür in dieser Woche hatte schon irgendetwas von Martin Luthers Thesenanschlag von 1517. Doch statt der 95 Thesen, die der Mönch an dem Wittenberger Kirchentor anbrachte, hingen hier viele kleine bunte Zettel. Sie waren allerdings nicht wütend mit Nägeln angeschlagen worden, so wie es der Reformator vor rund 500 Jahren tat, sondern leicht angeklebt. Auch ihr Inhalt war ein anderer. Luther schrieb damals wutentbrannt seine Kritik am Ablasshandel auf Papier. Das, was auf den Lenzer Zetteln stand, war alles andere als aufbrausend und anklagend. Die Worte und Sätze, die hier bis Donnerstagnachmittag zu lesen waren, waren dagegen von einer tiefen Dankbarkeit geprägt. „Ich danke für die überstandene Krankheit.“ „Danke für meine Familie und meine Arbeit.“ „Danke für meine gesunden Kinder.“ „Danke für gute Freunde.“

„Die Tür war voll mit Dankesworten“, sagt der hiesige Pfarrer Sebastian Zehme begeistert. „Das war ein schöner Anblick.“

Die Aktion war Teil des Erntedankgottesdienstes am vergangenen Sonntag. Rund 120 Menschen kamen dazu in die Kirche nach Lenz. Bis in den Oktober hinein wird es vielerorts solche Gottesdienste geben. Dann erinnern sich die Christen daran, dass vieles Alltägliche eigentlich ein Segen ist. „Viele Menschen in unserem Land haben das Dankbarsein fast verlernt“, sagt Pfarrer Zehme. „Deshalb tut es so gut, so etwas zu lesen.“

Die Aktion mit den selbstklebenden Notizzetteln an der Kirchentür ist zumindest in Lenz eine Premiere. Eine, die auch nach dem sonntäglichen Gottesdienst für Aufmerksamkeit sorgte. „Auch in der Woche standen immer mal wieder Leute vor der Kirchentür und lasen sich die Zettel durch“, erzählt Zehme. Sogar die Handwerker, die ab dem 12. September mit der Sanierung der Lenzer Kirche beginnen und sich vorab über die Baubedingungen informieren wollten, blieben stehen und nahmen sich ein paar Minuten Zeit.

Nicht nur die bunten Zettel an der Kirchenpforte werden in Lenz und den umliegenden Dörfern in Erinnerung bleiben, sondern auch die Vielzahl an Erntedankgaben. Christenlehre-Kinder waren in den Tagen zuvor von Tür zu Tür gegangen, um Obst und Gemüse zu sammeln. „Das ist schon eine große Menge gewesen“, sagt der Pfarrer. Auch eine Agrargenossenschaft und der Fruchthof in Stauda zeigten sich großzügig und spendeten. Die Erntedankgaben wurden an die Hilfsorganisation Die Tafel und die Kita Böhla weitergegeben.

Dass Kinder aus diesem Grund von Haus zu Haus gehen, findet Zehme besser als die Gespenstertouren zu Halloween. „Ich bin kein Freund davon“, sagt er, denn da würden die Leute mit dem Spruch „Süßes oder Saures“ erpresst. „Bei uns gab es stattdessen ein Dankeschön.“