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Bürgerrat bleibt in Männerhand

Altstadt, Nikolaivorstadt und Klingewalde haben Räte und Mönchsköpfe gewählt. Durchaus mit Überraschungen.

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© nikolaischmidt.de

Von Ingo Kramer

Görlitz. Erhard Schellmann ist viel herumgekommen in der Welt. Geboren 1938 in Dresden, flüchtete er 1958 in den Westen, studierte und promovierte in Hannover, machte Karriere bei Bayer, baute als Projektmanager weltweit Chemieanlagen auf, lebte sechs Jahre in den USA, ein Jahr in der Sowjetunion, auch in anderen Ländern. Kaum Rentner, kaufte er einen Bauernhof im Bernstädter Ortsteil Kunnersdorf, sanierte ihn und erkundete die Lausitz mit dem Rennrad. Nach zwölf Jahren Landleben wollte er mehr Kultur – und zog Weihnachten 2012 in die Görlitzer Altstadt. Inzwischen unterrichtet er Schach an der Grundschule Weinhübel, betreut Asylbewerber im Umgang mit Behörden, arbeitet im deutsch-polnischen Güsa-Verein mit. Und seit Donnerstagabend ist der 79-Jährige frisch gewählter Bürgerrat für Altstadt, Nikolaivorstadt und Klingewalde.

Der Mönch von Romy Kumann gefällt den Einwohnern am Besten.
Der Mönch von Romy Kumann gefällt den Einwohnern am Besten. © privat

Durchaus eine Überraschung: Erst während der Sitzung im Saal des Camillo kandidierte er aus dem Publikum heraus – und wurde von den 40 anwesenden Wahlberechtigten einstimmig gewählt, genau wie Michael Voß. Der 42-Jährige ist gebürtiger Görlitzer, lebt schon über 20 Jahre in der Altstadt, arbeitet bei der Sparkasse im Kreditbereich und ist ebenfalls neu im Bürgerrat. Hagen Aye und Thomas Hain (beide Nikolaivorstadt) sowie Alexander Lehmann (Altstadt) hingegen wurden wiedergewählt. Der Haken an der Sache: Aus dem 600-Einwohner-Stadtteil Klingewalde kandidierte niemand: Uwe Ulmer hört auf, weil er es zeitlich nicht mehr schafft, Mario Hülsenitz ist schon vor einiger Zeit ausgestiegen. Somit vertritt der Rat zwar auch künftig Klingewalde, hat aber keinen Mitstreiter mehr von dort. Und der Rat bleibt fest in Männerhand: Auch vor Ort im Camillo entschloss sich keine Frau zur Kandidatur. Aufgehört hat neben Ulmer und Hülsenitz auch Mario Gutowski aus der Altstadt.

Vor der Wahl gaben die Räte einen Rückblick auf die vergangenen zwei Jahre. Das meiste Lob erntete dabei Silke Baenisch, die die Bürgerbeteiligung im Rathaus koordiniert. „Von ihr bekommen wir stets ausführliche, wohlwollende Antworten“, erklärte Aye. Weniger Lob gab es für das Budget von einem Euro pro Einwohner und Jahr. Gerade im Fall von Klingewalde lasse sich mit 600 Euro pro Jahr kaum ein wirksames Projekt auf die Beine stellen. Selbst der Krötenzaun am Ziegeleiweg, der aus dem Budget von 2017 gekauft wurde und demnächst aufgestellt werden soll, wird nur möglich, weil dafür auch noch Geld aus der Alt- und Nikolaivorstadt abgezwackt wurde. Um den Krötenzaun will sich Ulmer trotz seines Ausscheidens aus dem Bürgerrat auch weiterhin kümmern, gemeinsam mit ein paar Jugendlichen.

Auch sonst konnten die Räte einiges verwirklichen, eine Bank und eine neue Beschilderung in Klingewalde, zwei Feste pro Jahr in der Nikolaivorstadt, eine Spende für das Viathea in der Altstadt – und nun die Wahl eines Mönchskopfes, der im Frühling in einer Fensternische am Eckhaus Fleischerstraße/Obermarkt angebracht werden soll. Drei Steinbildhauer haben dafür ihre Entwürfe eingereicht, jeder davon kostet in der Umsetzung knapp 4 000 Euro. Möglich wird das nur, indem das Budget von 2017 und 2018 zusammengezogen wird. Das sorgte bei der Versammlung auch für Kritik: Von dem Mönchskopf profitiere die Stadt doch am meisten, also solle sie es auch bezahlen und nicht der Bürgerrat, forderte (der zu diesem Zeitpunkt noch nicht gewählte) Erhard Schellmann. OB Siegfried Deinege wies die Kritik zurück: Das Budget des Bürgerrates komme ja von der Stadt. Und: „Wenn bei der Finanzierung am Ende irgendwo eine Lücke entsteht, werden wir auch dafür eine Lösung finden“, so der OB.

Alle drei Steinbildhauer waren vor Ort, stellten ihre Entwürfe vor. Dann konnte jeder anwesende Einwohner bis zu drei Stimmen abgeben. Das Ergebnis war eindeutig: Der Mönch der aus Görlitz stammenden und in Dresden lebenden Romy Kumann bekam 58 Stimmen, der Mönch mit Kapuze von Hans Herbig aus Ostritz 34 Stimmen und der finster dreinschauende Mönch von Robert Vallentin aus Ostritz 21. Entschieden ist damit aber noch nichts: Das letzte Wort haben der Denkmalschutz, die städtische Tochtergesellschaft Kommwohnen als Eigentümerin des Gebäudes – und natürlich der Bürgerrat selbst. So war die Wahl im Camillo eher ein Stimmungstest.

Für eher nachdenkliche Stimmung sorgte am Ende noch Ernst Rakette. Der 80-Jährige lebt seit mehr als 50 Jahren in Klingewalde und sieht seinen Stadtteil näher an Ludwigsdorf als an der Alt- und Nikolaivorstadt. Er hoffe, dass Klingewalde nicht weiter abgehängt wird – und forderte die neu gewählten Räte auf, auch in Klingewalde vorzusprechen. Die lehnen das nicht ab. Doch im Ehrenamt ist die Zeit begrenzt. Wer ein Anliegen hat oder mitmachen will, findet die Bürgerräte immer am ersten Montag im Monat, ab 19 Uhr, im Gasthof „Dreibeiniger Hund“ in der Büttnerstraße.

Kontakt: 03581672000