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Büffeln im virtuellen Klassenzimmer

Eine Online-Akademie hat sich in Zittau etabliert. Jetzt ist der Betreiber sogar ausgezeichnet worden.

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Von Mario Heinke

Über die Kopfhörer lauscht Nicole Kunert der Stimme des Dozenten. Am Rande des linken Bildschirms verraten Fotos, Namen und Orte, wer aktuell am Kurs teilnimmt. Der Dozent sitzt irgendwo in Deutschland, genau wie seine Zuhörer. Er stellt Fragen. Nicole wirft einen Blick auf den rechten Bildschirm, dort wird der Unterrichtsstoff angezeigt. Nachdem sie die angefragte Textpassage gelesen hat, tippt sie ihre Antwort auf der Kommunikations-Schaltfläche am unteren Bildschirmrand des linken Monitors ein. In der Mitte desselben erscheinen nach und nach die Antworten der anderen Kursteilnehmer. An einem der Teilnehmerfotos erscheint ein Zeigefinger-Symbol, es steht für das Melden, so wie in der Schule. Der Referent erteilt dem Fragenden das Wort und beantwortet dessen Frage mit sonorer Stimme. Nicole Kunert hört zu und ist sich sicher, den Zusammenhang begriffen zu haben. Sie drückt deshalb auf das Glühbirnen-Symbol, quasi als Zeichen der Erleuchtung. Erscheinen alle Glühbirnen auf dem Monitor, weiß der Dozent in der Ferne, dass er mit dem Unterrichtsstoff fortfahren kann. Das Ganze nennt sich Virtuelle Online Akademie und ist ein innovatives Lehrkonzept des Institutes für Berufliche Bildung (IBB).

Im März belegte das IBB einen vorderen Platz bei einem Deutschlandtest der Zeitschrift Focus Money und wurde als „Top-Institut für berufliche Bildung“ ausgezeichnet. Das Institut sitzt in Buxtehude und arbeitet bundesweit mit Kooperationspartnern zusammen. Seit 2014 ist Kirsten Steiner Kooperationspartnerin des IBB und kümmert sich in der Goethestraße in Zittau um Erwachsenenqualifizierung und Umschulung. Im Auftrag der Agentur für Arbeit oder regionaler Unternehmen absolvieren die Teilnehmer unterschiedliche Ausbildungen oder Weiterbildungskurse. Auch Selbstzahler, die einen IBB-Kurs belegen, lernen in Frau Steiners „Wissensspeicher“, den es seit 2008 in Zittau gibt. Die 45-Jährige kennt sich aus in der regionalen Bildungslandschaft, ist Ausbilderin, Fachinformatikerin, Finanzbuchhalterin und hat jahrelang bei einem Bildungsträger gearbeitet, bevor sie sich vom Konzept der Virtuellen Akademie anstecken ließ und selbstständige IBB-Partnerin wurde.

Frau Kunerts Unterrichtsstunde nähert sich dem Ende. Sie lässt sich zur Fachkraft für Rechnungswesen ausbilden. Seit Januar lernt sie in einem virtuellen Klassenzimmer. Um das Klassenzimmer, das physisch gar nicht existiert, betreten zu können, meldet sie sich über eine Computerstation des IBB an. Zwanzig solcher Stationen bietet das IBB Zittau in drei Räumen an. Zu jedem Arbeitsplatz gehören zwei Monitore, Kopfhörer, Mikrofon, Software und eine schnelle Internetverbindung. Anders als in klassischen Schulungsräumen können Teilnehmer unterschiedlichster Kurse gemeinsam in einem Zimmer arbeiten, ohne sich gegenseitig zu stören. Die Buchhalterin, neben der Personalreferentin, dem Altenpfleger oder dem IT-Experten, der den SAP-Schein macht. Um den Praxisteil der Ausbildung kümmern sich die Teilnehmer selbst, die meisten lernen in regionalen Unternehmen. Notwendige Prüfungen legen sie bei der IHK ab.

Trotz bestehender Vorbehalte gegenüber dem Lehrkonzept, ist Standortleiterin Kirsten Steiner überzeugt, virtuelle Akademien sind die Zukunft. Schon jetzt haben klassische Bildungsträger immer wieder Probleme, genügend Teilnehmer für ihre Kurse zu finden. Ein Problem, das man beim IBB nicht kennt, denn das Institut kann die Teilnehmer im ganzen Bundesgebiet einsammeln und seine Angebote schneller als andere auf die Erfordernisse des Arbeitsmarktes anpassen. „Umschüler finden die Art des Lernens angenehm, weil sie nicht zwischen Jugendlichen in der Berufsschule sitzen müssen“, erklärt Frau Steiner einen weiteren Vorzug der Methode. Wer glaubt, die Lernenden sitzen einsam und ohne persönliche Kontakte in einer Kammer, der irrt. Vieles ist so wie in einer normalen Schule. Drei Männer kehren von der Raucherpause im Hof zurück und studieren den Stundenplan im Flur, bevor sie sich wieder an ihrer Station einloggen und dem Unterricht folgen.