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Brustwarze oder Beton-Monstrum?

Ein neuer Aussichtsturm in der Böhmischen Schweiz polarisiert schon vor seinem Bau.

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© Visualisierung Mjölk architekti

Von Steffen Neumann

Ruzova. Der Bau von Aussichtstürmen ist in den letzten Jahren in Mode gekommen. Am Rande des Dorfes Ruzova (Rosendorf) in der Böhmischen Schweiz – und nur sechs Kilometer von der sächsischen Grenze entfernt – entsteht noch in diesem Jahr ein weiterer. Baustart ist im Juli, im Herbst ist er fertig, bestätigt das Gemeindeamt.

Der Neubau auf dem Pastevni vrch (Hutberg), einen Kilometer weit weg vom Dorfkern, sorgt aber schon für Aufmerksamkeit, bevor er überhaupt steht. Das Dorf hat sich nämlich für eine sehr unkonventionelle Lösung entschieden. Der Turm scheint wie eine Blase aus der Erde zu wachsen, durchbrochen von großen, runden Fenstern. Baustoff ist Beton, den nach und nach Pflanzen überwuchern. Die ungewöhnliche Form hat bereits erste Spitznamen provoziert. „Bei uns heißt er nur ‚Brustwarze‘“, verrät Bürgermeisterin Helena Krizkova, die sich schon seit 18 Jahren um den Aussichtsturm bemüht. So lange brauchte es, um das Projekt nun doch noch durchzusetzen. „Die Form ist eben etwas atypisch“, meint die Bürgermeisterin, warum ihr so viel behördlicher Widerstand entgegenschlägt.

Gipfel mit Weitblick

Die Gemeinde und der Standort des Turms befinden sich zwar nicht im Nationalpark Böhmische Schweiz, aber dafür im Landschaftsschutzgebiet, und die zuständige Verwaltung in Decin (Tetschen) versuchte bis zuletzt alle Beteiligten zu überzeugen, dass der Turm eigentlich nicht gebraucht wird. „Der 402 Meter hohe Pastevní vrch ist unbewaldet und ermöglicht schon jetzt einen aussichtsreichen Rundblick“, sagt Petr Bauer von der Verwaltung des Landschaftsschutzgebiets.

Von hier reicht der Blick bis in die Lausitz, ins Böhmische Mittelgebirge, weiter zum Erzgebirge und natürlich zu den nahen Gipfeln der Sächsisch-Böhmischen Schweiz. „Der wird nun durch dieses ‚Beton-Monstrum‘ gestört“, findet der Naturschützer harte Worte. Außerdem sei das Gebiet voll von Aussichtstürmen, die zudem in der Regel auf bewaldeten Gipfeln stehen. „Auch wenn der Turm jetzt kleiner wird, verursacht er bleibende Veränderungen im Landschaftsbild“, bedauert Bauer. Aufgrund eines Kompromisses wird der Turm nun nur noch halb so hoch sein als die vorher geplanten 13 Meter. Helena Krizkova bezeichnet den Turm als „Ersatz für den Turm auf dem Ruzovy vrch (Rosenberg)“, den es dort früher gab. Dort hätte ein Turmbau heute allerdings gar keine Chance mehr, da der markante Gipfel im Nationalpark steht.

Auf dem Pastevni vrch selbst gab es dagegen nie einen Aussichtsturm. Dafür stand hier bis 1932 das Restaurant „Hubertusbaude“ mit Terrasse, bevor es niederbrannte. Nach 1945 diente der Hügel wegen des Rundblicks kurzzeitig sogar als militärischer Posten. Das Einzige, was auf dem Gipfel noch erhalten blieb, ist ein Kreuz von 1809, das die Gemeinde vor acht Jahren restaurieren ließ. Vor einigen Jahren stellte die Gemeinde zudem einen Hochsitz auf. Der ist weniger für Jäger bestimmt, sondern „ein bisschen unser Protest, dass uns so lange der Bau des Turms verweigert wurde“, sagt Krizkova. Petr Bauer lässt aber auch den historischen Vergleich nicht gelten. Restaurants zum Beispiel gebe es in der Region inzwischen um ein Vielfaches mehr, als vor 1989. Er befürchtet eher, dass dieses „Beton-Monstrum“, wie er es nur nennt, mit seiner umstrittenen Form Touristen vergraulen könnte. Die kommen gerade wegen der unberührten Natur in den Nationalpark und Umgebung.

Die Bürgermeisterin sieht den modernen Entwurf dagegen vollkommen im Einklang mit Natur und Geschichte. „Bei uns in den Sudeten stehen überall Betonbunker aus der Zeit vor 1938. Beton geht wenigstens nicht kaputt, und wenn er bewachsen ist, wird ihn keiner mehr sehen“, so Krizkova. Dass die ungewöhnliche Form provoziert, ist Absicht. Der Entwurf stammt von dem Architekturbüro Mjölk aus Liberec (Reichenberg), das sich bereits mit einigen gewagten Entwürfen einen Namen gemacht hat.

Über Tschechien hinaus bekannt wurde ihr hölzerner „Gurkenturm“ bei Hermanice (Hermsdorf) im Dreiländereck. Krizkova hatte Mjölk bewusst kontaktiert, weil sie auf Aufmerksamkeit hofft. „Die ungewöhnliche architektonische Form wird Touristen anlocken“, ist sie überzeugt. Über ausreichend Touristen kann sich der Ort aber eigentlich nicht beklagen. Ruzova liegt günstig zu den beliebtesten Ausflugszielen Prebischtor und Edmundklamm. Im Dorf mit seinen rund 500 Einwohnern kommt der Turm übrigens erstaunlich gut an. Für seinen Bau wurden immerhin schon 100 000 Kronen gespendet, umgerechnet fast 4 000 Euro. Spender haben die Möglichkeit, für 20 000 Kronen eine der 16 Treppenstufen zu „kaufen“. Wer weniger spendet, wird auf kleinen Tafeln im Turminnern verewigt. So soll wenigstens ein Teil der nötigen umgerechnet 100 000 Euro zusammenkommen. Krizkova hofft, dass die Aussicht auf mehr Touristen örtliche Pensionen und Gaststätten spendabel macht. Aber auch Touristen selbst können spenden, wenn sie den Neubau unterstützen möchten.

Eins ist sicher, der Bau von Aussichtstürmen im tschechisch-deutschen Grenzgebiet geht weiter. Seit 2013 hat der Nachbarort Janov (Jonsdorf) einen Turm. Weitere Türme sollen in den kommenden Jahren auf dem Spitzberg bei Varnsdorf (Warnsdorf), auf der Lausche oder dem Jitrovnik (Jüttelberg) bei Sluknov (Schluckenau) entstehen.

Spendenkonto der „Obec Ruzova“ IBAN: CZ 29 0300 0000 0002 6801 7647 BIC: CEKOCZPP Stichwort: „Vyhlidka“