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Brücke ist nicht gleich Brücke

Weil die Unesco den Bau einer Brücke im Welterbe Mittelrheintal erlaubt, tönt aus Dresden neue Kritik.

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Von Johanna Lemke und Oliver Reinhard

Ein alter Streit wird neu hochgekocht: „Die Aberkennung des Welterbe-Titels für das Dresdner Elbtal war reine Willkür“, so war es aus der Lokalpolitik heraus zu vernehmen. Die Unesco messe bei der Titelvergabe offenbar mit zweierlei Maß. Grund für die wütenden Worte ist die Entscheidung des Komitees, dass im Welterbe Mittelrhein eine Brücke gebaut werden darf, in Dresden jedoch nicht. Wer die beiden Fälle gleichsetzt, urteilt ohne Augenmaß. Denn Brücke ist nicht gleich Brücke, und die Unterschiede der beiden Bauwerke sind auch für Laien klar erkennbar.

Stellt man die Simulationen der geplanten vierspurigen sowie fernverkehrstauglichen Waldschlösschen- und jene der bloß zweispurigen, auf Nahverkehr zugeschnittenen Mittelrheintalbrücke nebeneinander, so zeigt sich: In Dresden wird die Elbwiesenlandschaft zerschnitten von einem im Verhältnis zur unmittelbaren Umgebung überdimensionierten Stahlbogen. Gleiches geschieht in den Auen durch die linkselbischen Zufahrtsstraßen. In Grafiken der Mittelrheintal-Brücke dagegen passt sich das schmalere und filigranere Bauwerk mit dem flacheren und nur leicht geschwungenen Bogen verhältnismäßig sanft in die stärker ansteigende Landschaft ein, versenken sich die Zufahrten ins Grün.

Freilich ist eine Brücke auch für das Rheintal keine Verschönerung. Doch dort, und das ist der größte Unterschied, wurde erfolgreich mit der Landschaft geplant, nicht gegen sie. Die Optik des Bauwerks im Verhältnis zur Umgebung – wohlgemerkt nichts anderes – führt die Unesco als Grund für ihre Entscheidung an, dem Mittelrheintal auch mit Brücke den Weltkulturerbestatus nicht abzuerkennen.

„Wieso die und nicht wir?“

„Dieses Votum bietet keinen Anlass für Rückschlüsse auf Dresden“, heißt es aus der Deutschen Unesco-Kommission. Die Gutachten über die beiden Fälle seien von den gleichen Experten erstellt, der Beschluss unter Berücksichtigung derselben Kriterien gefasst worden. Mit dem Ergebnis, dass die Brücke keine „visuelle Beeinträchtigung“ des zum Welterbe erklärten Mittelrheintals darstelle.

„Wieso die und nicht wir?“ ist in diesem Falle zwar eine Dresden-typische, aber unangebrachte Frage. Das macht Dieter Offenhäußer von der Deutschen Unesco-Kommission klar: „Es sind zwei völlig unterschiedliche Fälle, zwei unterschiedliche Entwürfe und daher zwei unterschiedliche Ergebnisse.“

Die Unesco zeigt mit ihrer Entscheidung auch, dass sie keinesfalls grundsätzlich gegen bauliche Veränderungen ist. Eine Weiterentwicklung der Landschaft aus verkehrstechnischen, vielleicht auch ökonomischen Gründen verurteilt sie nicht per se. Die Veränderungen müssen nur übereinstimmen mit dem einstigen Charakter der Landschaft, der ihr zum Welterbe verholfen hat – das ist das wichtigste Kriterium. Die Schlüsselworte beim Mittelrhein-Beschluss lauten entsprechend: „visuell akzeptabel“.

Doch ein weiterer Unterschied dürfte zwar nicht maßgeblich, aber sicherlich auch alles andere als völlig unwichtig gewesen sein: Die Rheinländer haben von Anfang an einvernehmlich mit der Unesco zusammengearbeitet und anfallende Probleme gemeinsam gelöst.

Neue Instrumentalisierung

In Dresden jedoch wurden die Einwände der Unesco auch aus den Reihen der Politik sofort in schärfsten Tönen verurteilt, als fremde, arrogante und fortschrittsfeindliche Einmischung abgekanzelt, die Organisation gar als erpresserisch kriminalisiert: Der Streit fiel in die Zeit des Wahlkampfs, wurde von allen Seiten aufgegriffen und hemmungslos für politische Stimmungsmache instrumentalisiert. Auch und gerade von jener Partei, aus deren Reihen nun die alten Anti-Unesco-Ressentiments wieder hervorgekramt, aufgewärmt und als laues Lüftchen ins zurzeit kühle Sommerloch geblasen werden.