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Brücke am Haken

Wo sich S- und Fernbahn in Coswig kreuzen, wurde ein neuer Überbau eingesetzt. Eine höchst knifflige Sache.

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© Arvid Müller

Von Ulrike Keller

Coswig. Es ist überraschend still für Baustellenverhältnisse. Millimeter für Millimeter senkt sich am gestrigen Sonntagmorgen ein 25 Meter langer Stahltrog in der Höhe ab. Das 120 Tonnen schwere Brückenstück hängt an zwei großen Haken. Auf jeder Seite wird es von einem Gleiskran gehalten.

Diese beiden gelben Ungetüme haben das Verbindungsstück bereits bis an diese Stelle transportiert. Wo es den Überbau einer Brücke mit Gleis bilden soll, ist momentan ein Nichts – freier Blick auf die unten verlaufende S-Bahn-Strecke in Coswig.

Die Kräne stehen auf dem Nachbargleis. Dort wurde ein eben solches Brückenstück im Juli eingesetzt. Nun ist an dieser Stelle auch das zweite Gleis der Fernbahn-Strecke Niederwartha – Hoyerswerda an der Reihe. Beide zusammen kosten rund 2,5 Millionen Euro. Die Erneuerung war nach über 100 Jahren einfach notwendig.

Das Einsetzen der Stahlbrücke ist hoch diffizil. Es erfordert Fingerspitzengefühl und Erfahrung bei den Kranfahrern. „Der Kranausleger muss nicht nur in Höhe und Länge geändert werden, er muss auch eingeschwenkt werden“, erklärt Kay Müller, der bei der DB Netz AG die Großprojekte auf dem Abschnitt Leipzig – Dresden leitet. Diese drei Dinge seien zu koordinieren, damit der einzusetzende Überbau in seiner waagerechten Lage bleibe und nicht kippe.

Zum Glück nieselt es nur leicht. Starker Sturm könnte dem Unterfangen gefährlich werden, wenn Seitenwind die Brücke ins Schwingen versetzt.

Aus Sicherheitsgründen sind vom gestrigen Sonntagmorgen 3 Uhr bis zum heutigen Montagfrüh 4.30 Uhr beide Gleise der Fernbahn gesperrt sowie auch die S-Bahn. Immerhin könnte jederzeit etwas reißen oder herunterfallen.

Die rund 200 S-Bahn-Züge täglich fahren dann wieder normal. Auch der Fernverkehr wird nicht mehr von Dresden über Priestewitz und Weinböhla umgeleitet. Allerdings ist er noch bis kommenden Sonntagmorgen auf etwa 50 Züge täglich ausgedünnt, weil noch umfangreiche Arbeiten am neuen Brückenüberbau nötig sind und dieses Gleis gesperrt bleiben muss.

Damit sich alle Eisenbahnverkehrsunternehmen rechtzeitig auf die Änderung einstellen konnten, wurde diese Sperrpause schon vor zweieinhalb Jahren angemeldet, erzählt Kay Müller. Wegen dieser langen Vorlaufzeiten geht einem solchen Brückeneinbau auch eine Planung von rund sechs Jahren voraus. Und natürlich auch, weil viel Aufwand, etwa bei den Messungen, betrieben wird, damit am Ende alle Maße stimmen. So ein Stahltrog ist eine Werksanfertigung.

Von der gesperrten S-Bahn-Strecke aus verfolgen einige Mitarbeiter das Geschehen von unten. Ihnen im Rücken nähert sich doch ab und an ein anschwellendes Zuggeräusch. Von ICEs, die aus Neustadt Richtung Weinböhla fahren. Die Fernbahnstrecke zwischen Dresden, Elsterwerda und Kötzschenbroda wird unweit ebenfalls mit einer Brücke über die S-Bahn-Strecke geführt. Dieses Bauwerk soll in zwei Jahren komplett neu gemacht werden, verrät Projektleiter Kay Müller. Es wird dann allerdings aus Stahlbeton bestehen.

Bei der aktuellen Mission kam Beton nicht infrage. Um das gleiche Gewicht wie die Stahlvariante tragen zu können, müsste die Betonbrücke viel dicker ausfallen. Doch dafür war wegen des vorgeschriebenen Abstands zwischen S-Bahn-Gleisbett und der Brücke mit Fernbahn-Gleisbett nicht ausreichend Platz, sagt Kay Müller.

Kurz vor 10 Uhr liegt der Stahltrog dort, wo er soll: auf den Stützmauern, auch Widerlagern genannt. Sie wurden vor drei Jahren aufwendig saniert. Dass nicht alles auf einmal erneuert wird, soll in erster Linie lange Sperrungen für die Züge verhindern.

Die Arbeiten an diesem Brückenüberbau werden nun noch eine Woche in Anspruch nehmen. Der montierte Stahltrog ist mit Gleis und Schotter zu versehen. Die aus Sicherheitsgründen abgebauten Oberleitungen sind wieder herzurichten, aber auch die abgeschalteten Signale neu anzuschalten und zu prüfen. Am Sonntag um 8 Uhr soll dieses Gleis wieder für den Betrieb freigegeben werden. Dann sind die beiden benachbarten Gleise und Brücken wie gehabt in beide Richtungen befahrbar.