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Brille, Schlüssel, Büstenhalter

In Niesky landeten 2017 doppelt so viele Gegenstände im Fundbüro wie sonst. Einiges passt so gar nicht ins Bild.

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© André Schulze

Von Thomas Staudt

Niesky/Kodersdorf. Ursula Popp hat im Urlaub mal eine Armbanduhr verloren. Das sei kein Verlust gewesen. Denn im Fremdenverkehrsamt, wo sie nachfragte und wo die Uhr tatsächlich abgegeben worden war, konnte sie sie direkt wieder mitnehmen, erzählt sie. In ihrem Arbeitsalltag ist es umgekehrt. Da ist sie es, die anderen Leuten ihre Sachen zurückgibt. Wenn sie sich nicht gerade um Obdachlose, das Einwohnermelde- oder das Gewerbeamt kümmert, betreut sie das Fundbüro im Nieskyer Rathaus. 15 Schlüsselbunde, sieben Armbanduhren, ein Surfbrett, ein warmes Mittagessen, neun Handys und ebenso viele Brillen – die Liste der in den letzten Monaten abgegeben Fundsachen ist lang. Doppelt so lang wie in den Jahren zuvor. Sind die Nieskyer vergesslicher geworden?

Unter den Fundstücken sind auffallend viele Kleidungsstücke. „Wir kümmern uns im Gegensatz zu früher nun auch um die Fundsachen aus den Turnhallen und Schulen“, klärt Ursula Popp auf. 405 Gegenstände landeten 2017 auf ihrem Schreibtisch, bereits acht waren es im neuen Jahr. Jeder wird monatlich im Anzeiger veröffentlicht, außerdem fein säuberlich in einer Liste vermerkt, die übers Internet abrufbar ist.

Genau so verfährt Christin Kröcher. Sie führt für Horka, Neißeaue, Schöpstal und Kodersdorf das Fundbüro des Verwaltungsverbands Weißer Schöps/Neiße. Das Kurioseste, was ihr in ihrer Tätigkeit bisher begegnete, waren gewöhnliche Autoschlüssel mit einer ungewöhnlichen Geschichte: Ein freundlicher Finder entdeckte sie beim Kodersdorfer Bäcker und gab sie im nur wenige Meter entfernten Fundbüro in der Gemeindeverwaltung ab. Dort – so könnte man meinen – stand schon der verzweifelte Besitzer, der sie vielleicht beim Brötchenholen einfach vergessen hatte. Denkste! Die Schlüssel wurden nie abgeholt. Einmal brachten Beamte der Polizei einen silberfarbenen Motorroller vorbei, den sie – nach einiger Standzeit sicherlich – auf einem Parkplatz sichergestellt hatten. Keine Schlüssel, keine Papiere, kein Besitzer. Und keiner, der nachfragte. Nach der vorgeschriebenen Aufbewahrungszeit landete das nicht mehr ganz neue Modell auf dem Schrott.

Ein halbes Jahr sind die Kommunen laut dem Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) verpflichtet, Fundgegenstände aufzubewahren. Einige versuchen die Sachen anschließend bei Versteigerungen meistbietend an den Mann oder die Frau zu bringen. Christin Kröcher hat das im vergangenen Jahr versucht, jedoch vergeblich. Das Interesse war quasi gleich null.

Ganz ähnliche Erfahrungen hat Ursula Popp in Niesky gemacht. Sie gibt nicht abgeholte und noch brauchbare Sachen an soziale Einrichtungen weiter. Einen Handball ans Jugendzentrum, Brillen an den Blinden- und Sehbehindertenverband oder Kleidung ans Sozialkaufhaus. Das darf sich, nachdem das Fundbüro nun auch für Schulen und Turnhallen zuständig ist, über reichlich Nachschub freuen. Unglaublich, was in Turnhallen so alles liegenbleibt – und nicht abgeholt wird: ein Büstenhalter, ein Spiderman-Unterhemd, Dutzende T-Shirts, Jacken, Hosen und Schuhe ohne Ende, Schals oder Ski-Handschuhe, in vielen Fällen Markenware.

Kleidung kommt regelmäßig auch im Rietschener Fundbüro an. „Dr. Zange brachte vor einiger Zeit Jacken vorbei. Sie hingen ewig in seinem Wartezimmer. Und niemand hat sie vermisst“, berichtet Bürgermeister Ralf Brehmer. Ob die Leute heute noch danach suchen, ist nicht bekannt. Das Fundbüro liegt eigentlich nicht in Brehmers Zuständigkeitsbereich. Aber die Kollegin ist erst nächste Woche wieder da. „Da mach‘ ich den Telefondienst eben mit“, erklärt er. Kleidung im Fundbüro ist langweilig? Gelegentlich werden recht pikante Fundstücke abgeliefert. Brehmer schmunzelt – und schweigt.

So fleißig die Lausitzer beim Abgeben von Fundstücken sind, so lässig sind sie beim Abholen. „Die meisten, die hier anrufen, erkundigen sich nach Sachen, die wir nicht haben. Aber nach denen, die abgegeben wurden, fragt so gut wie niemand“, weiß Christin Kröcher in Kodersdorf aus fast fünfjähriger Erfahrung. Andere sind schneller wieder abgeholt, als sie aufgenommen werden können, hat Ursula Popp in Niesky erlebt. Die meisten Finder sind ehrlich, schätzt sie, obwohl bei ihr auch schon „bargeldlose“ Geldbeutel abgegeben wurden. Tatsächlich warten in den meisten Fundbüros Geldbörsen auf ihre Besitzer.

Komischerweise denken viele „Verlierer“ nicht zuerst oder gar nicht ans Fundbüro. Einige wenden sich an die Polizei. „Aber nachfragen lohnt immer“, meint Ralf Brehmer. Selbst dann, wenn es peinlich werden könnte.