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Brandstiftung im Märchenschloss

Vor 35 Jahren wurde Feuer im einstigen Prohliser Prunkbau gelegt, der keine 100 Jahre stand. Hatte die Staatsmacht ihre Finger im Spiel?

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© Moritz Freiherr von Crailsheim, Heimat- und Palitz

Von Lars Kühl

Verbrechen, die nicht aufgeklärt werden, sind auch heute keine Ausnahme. Wenn sie verjähren, drohen die Straftaten vergessen zu werden. So wie die Brandstiftung am 17. Dezember vor 35 Jahren. Ihr fiel das Schloss Prohlis zum Opfer. Ein Schloss im Plattenbaugebiet? Das können sich die Jüngeren kaum vorstellen. Und doch gab es an der südlichen Gamigstraße im alten Dorf Prohlis einen richtigen Prunkbau im üppig verspielten Neorenaissance-Stil. Er hatte drei hohe Schmuckgiebel, eine prächtige Mansarde und über dem Eingang wachte ein auffälliges Wappen. Das Anwesen hätte gut und gern als Vorlage für ein Märchenschloss durchgehen können. Die Spitze war sogar noch von den Schiffern auf der Elbe zu sehen (Dresdner Stadtteilbuch Prohlis).

Gebaut worden war es zwischen 1887 und 1888 nach Plänen von Carl Kirsten und Otto Kreyhsig, beides Schüler von Gottfried Semper. Den Auftrag erteilten ihnen die von Kap-herrs. Vater Hermann Christian hatte 1868 ein kleines Rittergut mit Park für 107 500 Taler von seinem Nachbarn gekauft. Der gebürtige Rostocker war zuvor in St. Petersburg als Staatsrat, Bankier und Kaufmann reich geworden und erbte einen Freiherrentitel. Als seine Frau starb, ging er 1867 nach Dresden, wo er das Schlossanwesen Lockwitz erworben hatte. Prohlis und auch das Gut Bärenklause bei Kreischa sah er für seine Söhne vor.

Im beschaulichen Prohlis hatte nun Johann Christian von Kap-herr das Sagen, der 1884 auch noch das Palitzsch-Gut dazukaufte. Die umfangreichen Arbeiten am Schloss sorgten zunächst für reichlich Unruhe. Als es fertig war, bestaunten aber viele, was anstelle des alten barocken Wohnhauses entstanden war. Von außen schon ein Hingucker, setzte sich das Verschwenderische im Innern fort: Marmor- und geschnitzte Eichentreppen, verzierte Holzbalken an der Decke, dazu prachtvolle Möbel. Darauf standen wertvolle Porzellane, alte Waffen und andere Kostbarkeiten, die Wände zierten geschmackvolle Gemälde.

Beliebtes Foto- und Mal-Motiv

An Räumen gab es alles, was so eine Baron-Familie benötigte: von Salons, Einzelzimmern, Musik-Saal über Speise-, Jagd- und Badezimmer sowie Bibliothek bis zu Räumen für die Bediensteten und eine geräumige Veranda mit direktem Zugang zum Park. Den hatte der Königliche Obergartendirektor Johann Carl F. Bouché zu einem harmonischen Rückzugsort mit einheimischen, aber auch exotischen Bäumen und Pflanzen gestaltet. Der Bau und seine grüne Umgebung waren so beeindruckend, dass viele Maler und Fotografen ihn immer wieder als Motiv auserkoren. Die Prohliser selbst waren mittlerweile mächtig stolz auf ihr Märchenschloss.

Die von Kap-herrs lebten einträchtig mit der Dorfbevölkerung. Der Alltag war geprägt von Landwirtschaft, ab und zu spendierten die reichen Herrschaften etwas für ihre armen Nachbarn. Besonders in der Weihnachtszeit. Da leuchtete das Schloss regelrecht, wenn der Lichterschmuck hinter den Fensterscheiben strahlte. Aus Dresden fuhren Wagen und Lastschlitten mit ihren Leckereien vor, aus dem Lockwitzgrund brachte der Schokoladenfabrikant Rüger seine Süßigkeiten.

Der Einschnitt kam mit dem Ersten Weltkrieg. Nach dessen Ende 1918 mussten die von Kap-herrs aufgrund der wirtschaftlichen Situation Einschränkungen in Kauf nehmen. Doch sie hielten vorerst durch, auch wenn sie immer weniger Räume in ihrem Landgut bewohnten.

Der Zweite Weltkrieg folgte. In den sechs Jahren blieben Schloss und Park nahezu unversehrt. 1945 rückte die Rote Armee nach Dresden vor. In der Nacht zum 8. Mai standen plötzlich Panzer im Hof. Soldaten besetzten das Schloss. Die Herrschaften mussten raus, obwohl sie bekennende Gegner des Nazi-Regimes waren. „Sie haben die Kap-herrs mit Gewehren über den Hof in ein Seitenhaus getrieben“, erinnert sich Zeitzeuge Gottfried Lätsch im Stadtteilheft. Schlimmer noch, Rotarmisten, befreite polnische Zwangsarbeiter, aber auch Dorfbewohner, begannen zu plündern.

Als das Militär das Anwesen wieder verlassen hatte, zogen ausgebombte Dresdner und Flüchtlinge ein. Den Schlossherren wurde aber erlaubt, dort wohnen zu bleiben. Der letzte männliche von Kap-herr starb 1954 und erhielt eine würdige Trauerfeier. Zwei Jahre vorher hatte der damalige Dresdner Oberbürgermeister, Walter Weidauer, die Treuhänderschaft der Stadt über das Gut angeordnet, faktisch bedeutete das die Enteignung der Familie. Auch der Park, den Prohliser nach den Kriegsjahren in ihrer Not liebevoll mit Kartoffeln und Gemüse, aber auch Tabak bepflanzt hatten, wurde Staatseigentum. In den Jahrzehnten danach fiel das Schloss in einen Dornröschenschlaf, obwohl die Kirche es zunächst noch nutzte. Der Anblick wurde zusehends trauriger. Mitte der 1970er-Jahre gab es sogar Bürgerbestrebungen, das Anwesen zu sanieren. Doch nichts passierte, obwohl das Gebäude jahrelang eingerüstet war. Schließlich sperrte die Polizei das Gelände. 1976 begann dann der Bau der Neubausiedlung. Das alte Dorf wurde eingeebnet, erste Gebäude des Gutes fielen ebenfalls unter der Abrissbirne. Das einst ländliche Gebiet bekam sein Plattenbau-Image, das Prohlis bis heute prägt. Das Schloss selbst blieb aber zunächst stehen. Es gab fertige Pläne, es zu einer Gaststätte auszubauen.

Ganzes Schloss stand in Flammen

Die durchkreuzte der 17. Dezember 1980. Liselotte Gründel, heute noch Prohliserin, war damals 53 Jahre alt. In den Abendstunden leitete sie in einem Hochhaus neben der Schloss-Ruine eine Versammlung der Liberal-Demokratischen Partei Deutschlands. „Die Vorhänge waren zugezogen. Doch plötzlich waberte dahinter etwas“, sagt sie. „Wir haben die Fenster aufgemacht. Das ganze Schloss stand in Flammen.“ Als sie nach unten gerannt waren, war schnell klar: „Da konnte man nichts mehr machen.“ Auch weil zunächst keiner zum Löschen in der Nähe war, erinnert sich Gründel. Die Berufsfeuerwehr kam nicht, die freiwilligen Kameraden aus Lockwitz, Niedersedlitz, unterstützt aus Dresden, brauchten bis in die Morgenstunden, um das Feuer zu kontrollieren. Dass es sich um Brandstiftung handelte, da waren sich alle ziemlich schnell sicher. Die Polizei wollte einen 14-Jährigen verantwortlich machen, der im Schloss mit Holz und alten Matratzen gekokelt haben sollte. Allein, es fehlte an Beweisen, das Verfahren wurde eingestellt. Augenzeugen glaubten dieser Version sowieso nicht. Zu schnell hatten sich die Flammen über das gesamte Gebäude ausgebreitet. Für viele stand fest, hier hatten Profis ihre Hände im Spiel. Hinter vorgehaltener Hand wurde gemunkelt, die höhere Staatsmacht hätte den Brand inszeniert, weil ihr das Märchenschloss nicht ins sozialistische Plattenbau-Konzept passte.

Was blieb, war eine Ruine. Alle vorsichtig formulierten Wiederaufbaupläne scheiterten. Am 7. März 1985 riss ein Sonderkommando das Schloss schließlich ab. Der Park verwilderte und wurde zur illegalen Müllkippe. Erst als die Nachkommen der von Kapherrs das Gelände nach der Wende zurückbekamen, wendete sich das Blatt wieder. Die Fläche wurde nach historischem Vorbild neu angelegt. Als Prohliser Wäldchen ist sie heute die grüne Lunge der Plattenbausiedlung. Möglich, dass einer der Brandstifter manchmal durch den Park spaziert– mit einem schlechten Gewissen.