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Bombardier Görlitz stockt auf

Görlitz holt Leiharbeiter aus ganz Europa herbei – um mehr Fahrzeuge auszuliefern. Das Verhältnis zu Bautzen kühlt indes weiter ab.

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© Pawel Sosnowski/80studio.net

Von Daniela Pfeiffer

Görlitz. Es gibt ein paar wenige gute, aber viele schlechte Nachrichten von Bombardier Görlitz. Wie die Leiharbeiter, die zurzeit aus Frankreich, Großbritannien, Bulgarien oder Holland nach Görlitz gebracht werden, in dieses Bild passen, ist nicht eindeutig. Einerseits wurden in den vergangenen Monaten Leiharbeiter entlassen. Andererseits sind nun neue eingestellt, für die zudem weite Wege in Kauf genommen werden, schließlich sind Anreise und Unterkunft zu bezahlen. Selbst die Belegschaftsvertreter sind sich in der Bewertung nicht einig. „Das geht ins Geld“, sagt Jan Otto von der IG Metall Ostsachsen. Sprachbarrieren erschweren wohl das Arbeiten im Görlitzer Werk. „Außerdem sind Leute dabei, die wären noch vor ein paar Jahren nicht als Leiharbeiter genommen worden.“

Betriebsratsvorsitzender René Straube sieht das differenzierter. Zwar bestätigt er, dass von aktuell rund 500 Leiharbeitern etwa die Hälfte aus Osteuropa und anderen Ländern stamme. Er spricht aber von qualifizierten Menschen. Vor allem die Engländer sei „sehr versiert“. Natürlich sei die Sprache eine große Hürde. Es gibt viele Dolmetscher, aber die wiederum seien keine Techniker und daher sind Übersetzungen manchmal schwierig. Zudem müssen die Görlitzer Kollegen die Leiharbeiter einarbeiten, also ist es auch für sie keine einfache Situation.

Doch die Zeit sitzt allen im Nacken. „Wir wollen vor Jahresende mehr Fahrzeuge ausliefern“, sagt Straube. Man wolle den Winterfahrplan der Deutschen Bahn nicht gefährden. Dafür braucht es Leute, und da der deutsche Markt leer gefegt sei, was Fachkräfte angeht, kommen sie eben von anderswo. Zudem soll mit den eigenen Leuten mehr geschafft werden. Dafür wird demnächst wohl in drei Schichten gearbeitet – zu guten Bedingungen, wie René Straube betont. „Das muss natürlich die Ausnahme sein, und wir fühlen uns dabei nicht wohl“, sagt er. „Aber die wirtschaftlichen Zwänge des Konzerns zwingen uns, da mitzugehen.“ Nachdem die Kollegen im Rohbau die rollende Woche schon kennen, seien nun die vom Innenausbau dran.

800 Fahrzeuge umfasst der 2010 abgeschlossene Rahmenvertrag mit der Deutschen Bahn, 696 sind bestellt, aber noch längst nicht alle ausgeliefert. Trotzdem, sagt Straube, wäre es gut und wichtig, wenn die Bahn auch die restlichen 104 noch abriefe. Über den großen Auftrag für die Schweizer Bundesbahn (SBB) könne er gar nicht viel sagen, so Straube. Görlitz fertige die Waggons nur vor, der finale Ausbau findet inzwischen im schweizerischen Villeneuve statt. Mit einem Volumen von 1,9 Milliarden Schweizer Franken hatte die SBB im Juni 2010 bei Bombardier 62 neue Twindexx Doppelstockzüge bestellt. Sie sollen zentrale Städte der Schweiz verbinden und selbst in Kurven Höchstgeschwindigkeit fahren. Ihre Auslieferung war für die Jahre 2013 bis 2019 vorgesehen. Doch Bombardier war bereits seit 2013 schwer im Verzug. Aus 2013 wurde 2015, dann Ende 2017. Schuld sei aber nicht die Arbeitsmoral der Görlitzer Mitarbeiter, sondern die schlechte Unternehmensführung.

Gute Nachrichten gibt es für die Görlitzer Stammbelegschaft. Sie ist zumindest bis Ende 2019 sicher. Trotzdem findet Jan Otto wenig gute Worte. „Das Unternehmen an sich ist eine Katastrophe, so etwas habe ich noch nicht erlebt.“ Der Betriebsrat hat die Mitarbeiter gestern indes über den Stand der Verhandlungen mit dem Aufsichtsrat informiert. Für Görlitz sei wichtig, dass geprüft werde, dass die nötigen Investitionen in der erforderlichen Höhe und zu einem definierten Zeitpunkt kommen, damit die Neuausrichtung des Werkes als Rohbaustandort gesichert wird. Parallel werde an einem neuen Freiwilligenprogramm für den Personalabbau gearbeitet. Die Folgen des Programms vom Vorjahr spürt Bombardier in Görlitz besonders stark. Es seien viel mehr Mitarbeiter gegangen als gedacht, sagt Straube – vor allem in der Entwicklung. „Dort haben wir die Kompetenz restlos verloren.“

Ein ganz schwieriges Thema ist auch das Verhältnis zu Bautzen. Dass die politische Stimmung pro-Bautzen gehe, merke man, sagt Straube. Nach der Förderzusage aus dem Sächsischen Wirtschaftsministerium hat sich auch Landtagsabgeordneter Sebastian Wippel (AfD) zu Wort gemeldet. Seiner Meinung nach vergebe Wirtschaftsminister Martin Dulig (SPD) zulasten von Görlitz Subventionen an ein Unternehmen, das Arbeitsplätze in Sachsen abbaut, obwohl es vor Jahren bereits eine Förderspritze erhielt. Bereits diese 8,5 Millionen Euro, die der Freistaat ausgab, waren schlecht angelegtes Geld. Jetzt pumpe Dulig weitere Steuermittel in Bombardier, wobei unklar bleibe, ob dadurch mehr Arbeitsplätze gesichert werden. Görlitz stehe derweil ein von der Landesregierung in Kauf genommener Tod auf Raten bevor.

Auch der Görlitzer Betriebsrat spricht von „großer Verwunderung“, mit der man von der geplanten öffentlichkeitswirksamen Übergabe des Förderbescheides in Bautzen erfahren hat. Das schrieb der Betriebsrat auch an das Wirtschaftsministerium. Vom Unternehmen selbst gab es gestern auf SZ-Anfrage keine Stellungnahme zur aktuellen Lage in Görlitz.