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Rietschener Blumeninsel schließt

Seit mehr als 20 Jahren gehörten zwei Stunden in dem Blumengeschäft am Inselweg zum Sonntagsritual von Marlene Masopust und Angelika Seifert.

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© André Schulze

Von Carla Mattern

Für Marlene Masopust aus Rietschen und Angelika Seifert aus Stannewisch geschehen viele Handgriffe gerade zum letzten Mal. Zum Beispiel an diesem Sonntag. Ein letztes Mal schließen sie das Geschäft „Blumeninsel“ um 9 Uhr auf und sperren es zwei Stunden später wieder ab. Seit mehr als 20 Jahren gehörten diese zwei Stunden in dem Blumengeschäft am Inselweg in Rietschen zum Sonntagsritual der Frauen.

Doch damit ist jetzt Schluss. Am 30. September schließt das Geschäft für immer. Wehmütig und traurig macht das die beiden Floristinnen. Sie wissen von den Schließungsabsichten schon seit Monaten. „Bis vor wenigen Wochen ging es noch so. Aber jetzt, wo es abzusehen ist, da ist es schwierig“, sagt Angelika Seifert. Zumal die Blumeninsel-Mitarbeiterinnen auch die Kunden beschwichtigen müssen, die von der Nachricht betroffen sind.

Mehrere Tausend Euro Verlust

Auch Gerd Wenzel bedauert diesen Schritt sehr. Er ist Vorstandsvorsitzender der Schlesischen Agrargenossenschaft Daubitz e.G., zu der der Blumenladen gehört. Doch den Laden aufzugeben sei ein notwendiger Schritt. „Mit dem Geschäft haben wir jedes Jahr mehrere tausend Euro Verlust gemacht“, sagt Gerd Wenzel. Das geht so nicht weiter. Denn nicht nur dieses Minus hat die Genossenschaft ausgleichen müssen.

Der schon seit Monaten extrem niedrige Preis für die Milch macht den Landwirten schwer zu schaffen. Etwa drei Millionen Liter Milch verkaufen die Daubitzer pro Jahr. Als sich der Vorstand im vergangenen Jahr mit dem Jahr 2015 beschäftigte, war klar, dass 250.000 Euro auf der Einnahmenseite fehlen würden. Da hilft bloß eins: Verluste verringern und Umsätze steigern, so der Vorstandsvorsitzende.

Und so wurde beschlossen, den beiden Mitarbeiterinnen des Blumengeschäftes zu kündigen. Für die Frauen kam das nicht überraschend. „Der Umsatz ging stetig zurück“, sagt Marlene Masopust. Sie benennt auch die Ursachen dafür. „Da spielen die Märkte mit rein und die grüne Wiese“, so die Blumeninsel-Chefin. Blumen gibt es jetzt in jedem Discounter, in manchen sogar Floristensträuße. Viele Hinterbliebene lassen ihre Verstorbenen auf der sogenannten grünen Wiese bestatten.

Dorthin werden keine Kränze, Blumengebinde und auch kaum Blumensträuße gebracht. Angelika Seifert hat gerade Grabschmuck auf der Arbeitsplatte. „Die Beerdigungen übernehmen fast immer die Bestattungsinstitute, und die haben ihre eigenen Gärtnereien“, sagt sie. Die Stammkundschaft sterbe weg, viele junge Leute kämen nicht dazu. Überhaupt, so haben die Frauen im Rietschener Anzeiger gelesen: „Seit der Wende hat Rietschen 1.000 Einwohner weniger“, sagt Marlene Masopust.

Fliegender Händler als Konkurrenz

Gerd Wenzel ergänzt einen weiteren Grund. Rietschen hat seit einigen Jahren zwei Blumengeschäfte. Immer wieder steht auch ein sogenannter fliegender Händler unter anderem mit Blumen in Rietschen. Die Kaufkraft der Einwohner ist aber nicht gewachsen. Den Vorstand ärgert die weit verbreitete Geiz-ist-geil-Mentalität. Dass beispielsweise der Milchpreis auf einem Niveau ist, der unter den Produktionskosten liegt, das regt ihn auf. „Essen und Trinken dürfen nichts kosten“, so Gerd Wenzel.

Für das privat geführte Geschäft dürfte sich mit der Schließung der „Blumeninsel“ die Situation verbessern. Jüngst wurde in einer Sitzung des Gemeinderates deshalb bereits gemutmaßt, dass die Gemeinde ihre Sträuße zu bestimmten Anlässen jetzt im Blumengeschäft „Gänseblümel“ binden lassen werde.

Mindestlohn und Milchpreise seien die Auslöser für ihre Kündigung, sagt Angelika Seifert. Sie sagt es ohne Bitterkeit. Im Gegenteil. Die 62-Jährige ist dankbar, dass sie noch einmal eingestellt wurde. In den letzten Jahren war sie auf 165-Euro-Basis beschäftigt. „Vor der Genossenschaft habe ich Hochachtung, denn eigentlich war ich schon arbeitslos. Das ist kulant gewesen“, sagt die Stannewischerin. Sie muss sich jetzt wieder beim Jobcenter melden und will ihre Zeit mehr den Enkeln widmen.

Für Marlene Masopust dagegen wird der 1. Oktober nicht Tag eins in Arbeitslosigkeit. Die 61 Jahre alte Rietschenerin hat einen Arbeitsvertrag in einem Blumengeschäft in Weißwasser in Aussicht. Sie war schon Probe arbeiten und hofft, dass es klappt. Zu Fuß oder per Rad auf Arbeit, das ist dann vorbei. Zuerst hatte sie in der Gärtnerei gearbeitet, durfte dann in den Blumenladen wechseln. 30 Jahre war ihr Arbeitsort der Inselweg in Rietschen. Die Gärtnerei gibt es schon seit der Wende nicht mehr, nun endet auch die Ära des Blumenladens der Daubitzer Agrargenossenschaft .