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Bloß schnell wieder weg

Enttäuscht, verschuldet und entschlossen, noch einmal auszuwandern: Kosovos Zwangsheimkehrer sehen in ihrer Heimat keinerlei Perspektive.

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© T. Roser

Von Thomas Roser (Text und Foto), SZ-Korrespondent aus Studime

Wiedersehensfreude kommt bei dem hageren Rückkehrer keine auf. Ratlos schweift der Blick von Safet Gerguri über die Hühner, die vor seinem baufälligen Haus im Kosovo-Dorf Studime gackern. 13 Monate nach seinem Aufbruch in ein vermeintlich besseres Leben ist der 36-jährige Familienvater um seine beiden verkauften Kühe und das verscherbelte Auto ärmer – und eine teure Auswander-Erfahrung reicher. 3 500 Euro habe seine fünfköpfige Familie die Reise nach Deutschland gekostet, seufzt der arbeitslose Landarbeiter: „Hier muss ich fast fünf Jahre arbeiten, um zu verdienen, was ich bei der Reise ausgegeben habe.“ Doch er bereue nicht, dass er gegangen sei, sagt der dunkelhaarige Kosovo-Albaner: „Ich bedaure nur, dass ich dort nicht bleiben und arbeiten konnte.“

Die Abstimmung mit den Füßen kam ohne Ankündigung. Selbst eisiger Wind und Schneewehen konnten die hastigen Auswanderer nicht aufhalten. Zehntausende junger Kosovo-Albaner machten sich letzten Winter mit Bussen und Taxis aus Pristina zu Serbiens grüner Grenze mit Ungarn auf. Auf 70 000 bis 100 000 Menschen wurde die Zahl geschätzt, die innerhalb weniger Wochen das Land verließen – fast fünf Prozent der Bevölkerung.

„Fast alle Jungen überlegten, ob sie gehen sollten. Die Leute erzählten, dass in Deutschland Arbeitskräfte gesucht würden, sich dort eine Lösung finden ließe“, beschreibt der hochgewachsene Kellner Valdet Vilance in der Provinzstadt Vushtrri die damalige Atmosphäre. Er sei deprimiert, ohne Perspektiven und ohne Arbeit gewesen, erklärt der 21-Jährige, warum auch er sich am 28. Januar 2015 in einen der überfüllten Busse drängte.

Acht Stunden marschierte er im Schneetreiben zu Fuß über Ungarns grüne Schengen-Grenze. In Frankfurt beantragte er Asyl, in Hamburg harrte er in einem Flüchtlingsheim sechs Monate auf den negativen Bescheid aus. Im August kehrte Valdet aus Deutschland „freiwillig“ mit leeren Händen und einen Berg von Schulden zurück. 2 000 Euro habe ihn die versuchte Auswanderung gekostet, berichtet er mit müdem Blick. Von den 170 Euro, die er nun im Monat als Kellner verdiene, gingen 100 an seine Geldgeber: „Bleibt eine Rate aus, hat man Ärger. Es ist einfach eine Katastrophe.“ Nein, er bereue es nicht, gegangen zu sein: „Ich habe wenigstens versucht, wegzukommen. Und träume jede Nacht davon, wieder wegzugehen.“

Es waren heimatmüde Kosovo-Albaner, die mit ihrem Exodus gen Westeuropa vor Jahresfrist den Flüchtlingskorridor der sogenannten Balkanroute ebneten. Arbeit und ein besseres Leben hatten sie sich in der Fremde erhofft. Ernüchtert und tief verschuldet die meisten heimgekehrt. Perspektiven sehen sie in Kosovo kaum: Die meisten wollen wieder weg.

Nass baumelt im Nieselregen das blau-gelbe Kosovo-Banner vor dem Rathaus von Vushtrri. 5 000 der 70 000 Einwohner hatten sich vor einem Jahr in der Hoffnung auf einen Job nach Deutschland aufgemacht: Über die Hälfte sind nach Auskunft des Stadtsprechers bereits wieder zurück. Verbessert hat sich für sie die Situation in Kosovo keineswegs. Acht Jahre nach der Unabhängigkeit haben viele die Hoffnung auf bessere Zeiten längst verloren.

Auch in Vushtrri sind die Cafes voll mit ratlosen Beschäftigungslosen. Offiziell liegt Kosovos Jugendarbeitslosigkeit bei 55 Prozent, die tatsächlich auf bis zu 70 Prozent geschätzt wird. Sechs Jahre habe er nach dem Abitur als Lagerarbeiter in Pristina gearbeitet, doch nach dem Bankrott seines Arbeitgebers einfach keinen Job mehr finden können, erzählt im „Cafe Mandarina“ in Vushtrri der 26-jährige Ahmed Uka: „Als ich im Fernsehen die Aufnahmen mit den vollen Bussen sah, begann ich auch über Auswanderung nachzudenken. Geld hatte ich nicht. Aber Freunde und Angehörige legten zusammen. Und so fuhr ich.“

Ein Schiffsmodell ziert den Schreibtisch, ein Plastikflugzeug die Bürowand. Der Verkauf von Tickets in alle Welt ist das Geschäft von Besart Halili. Aber der Miteigentümer des Reisebüros „Soni Tours“ in Vushtrri verweigerte sich vor Jahresfrist dem potenziellen Geschäft seines Lebens. Schon im November 2014 habe er gemerkt, dass mit der starken Nachfrage nach Bustickets nach Serbien etwas „nicht stimme“ – und deren Verkauf eingestellt: „Wir wollten illegale Ausreisen nicht unterstützen.“

Zwei Monate lang habe er täglich 100 bis 150 Kundenanfragen abgelehnt, erzählt der 29-Jährige – und spielt auf dem Handy Aufnahmen der Konversationen mit abgewiesenen Kunden vor: „Mit jedem Fahrschein hätten wir 5 Euro, also täglich mindestens 500 Euro verdient.“ Doch er sei gegen den Exodus gewesen, den er für falsch und unsinnig gehalten habe. Etwas Gutes habe dieser dennoch, so Halili: „Viele dachten, dass man in Deutschland automatisch Arbeit und Wohnung erhält. Nun haben die Leute wenigstens ein realistischeres Bild, was Europa ist und wie das Leben dort funktioniert.“

All seine Erwartungen seien während seiner Zeit im schwäbischen Ehingen enttäuscht worden, gibt Ahmed Uka offen zu: „Aber ich lernte, Deutschland und Europa zu verstehen – und was dort passiert.“ Auch habe er gelernt, was für ein Land Ungarn eigentlich sei: „Die ungarische Polizei schlug uns und traktierte uns so aggressiv und unmenschlich, als wären wir Tiere. So, als ob sie einen Krieg gegen uns führten.“

Klagen über die Ablehnung ihres Asylgesuchs oder die Rückführung aus Deutschland sind von den Zwangsheimkehrern über ihre Odyssee durch Flüchtlingslager hingegen kaum zu vernehmen. Er verstehe, dass die Regeln in Deutschland eben so seien, wie sie seien, versichert Kellner Vilancet. Er wolle auch kein politischer Flüchtling sein, sondern nur ins Ausland, um zu arbeiten: „Europa betrachtet Kosovo als sicheres Land. Aber das stimmt nicht. Denn Sicherheit bedeutet, dass man mit Arbeit sein Leben bestreiten kann.“

Gegen ihren Willen sind die meisten „freiwillig“ heimgekehrt, um ein mehrjähriges Einreiseverbot nach einer Zwangsabschiebung oder dem Abtauchen in die Illegalität zu vermeiden. Er hoffe auf eine Visa-Liberalisierung und darauf, dass Deutschland wenigstens Saisonarbeiter aus Kosovo Arbeitsgenehmigungen erteile, so Ahmed Uka: „Uns erzählen sie immer nur, dass wir ein Teil Europas sind. Doch tatsächlich sind wir vollkommen isoliert.“ Er sei genauso ein Mensch wie andere Europäer auch, die für ein besseres Leben hinreisen könnten, wohin sie wollten, sagt verbittert Valdet Vilanci: „Wir sind in Europa diskriminiert.“

Doch der Grimm der Rückkehrer über ihr Schicksal scheint sich vor allem gegen die heimische Politikerkaste zu richten. Kosovo sei ein Land und doch kein Staat, sagt nachdenklich Ahmed Uku. Die Bevölkerung müsste die korrupte Regierung „heim oder besser gleich ins Gefängnis schicken“.

Blechern ruft die Lautsprecherstimme des Muezzins in Studime die Gläubigen zum Gebet. 100 Leute hätten während des Exodus das Dorf verlassen, erzählt der 60-jährige Bauer Asllan Gerxhuliu: „Es war traurig, das Dorf ohne die Jungen zu sehen.“ Nun seien fast alle wieder zurück, aber das Leben noch trauriger als zuvor: „Die Jungen sind nun noch deprimierter. Sie hängen nur noch zu Hause rum – und ihren Gedanken nach.“

In der Decke des verfallenen Hauses von Safet Gerguri in Studime klafft ein Loch. Den Asylbehörden in Deutschland habe er versichert, dass er gerne auf alle Hilfe verzichte, wenn er nur eine Arbeit erhalte: „Ich sagte ihnen, ich will nur Arbeit, gebt mir Arbeit – kein Geld!“ Versonnen hängt er den zwei Stunden nach, in denen er als Asylbewerber in Münster bei einem Pferdehof arbeiten durfte: „Sie bezahlten mir dafür 25 Euro!“. Nein, Rückkehrprämien oder Wiedereingliederungshilfen habe seine Familie weder vor ihrer Zwangsausweisung aus Deutschland noch nach der Einreise in Kosovo erhalten, sagt Safet.

„Wir haben nichts mehr.“ Er weiß, dass er mit der Reise nach Deutschland viel Geld verloren hat. „Aber ich bin nun in derselben Lage wie damals: Wenn ich heute gehen könnte, würde ich das sofort tun.“