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Blick in die lebendige Bibliothek

Eine Radeberger Reihe bringt besondere Erfahrungen an die Öffentlichkeit. Das war auch dieses Mal wieder faszinierend.

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© Bernd Goldammer

Von Bernd Goldammer

Radeberg. Wer möchte das nicht: In Menschen lesen können. Sonnabend gab es im Radeberger Humboldt-Gymnasium den grandiosen Versuch, interessierte Zuhörer und interessante Menschen zusammenzuführen. Dabei kamen faszinierende Geschichten zum Vorschein. Großartig vorgetragen von den Menschen, die sie erlebten.

Dr. Hartmut Kirschner zum Beispiel. Als Mediziner erfuhr er in seinem Leben oft Geschichten, die Menschen krank gemacht haben. Er hörte zu und suchte dabei therapeutische Wege aus Lebenskrisen. Er fand dabei oft zusammen mit Menschen Auswege, die Selbstmord begehen wollten. 10 000 Tote durch Suizid gibt es jährlich in Deutschland. Etwa hunderttausend Selbsttötungsabsichten werden früh genug erkannt und verhindert. Hartmut Kirschner treibt das um. Er engagiert sich für Seelsorge in schweren Lebenskrisen. Was seine beruflichen Erlebnisse mit ihm selbst machen, woran er sich festhalten kann, dafür sind 20 Minuten zu wenig. Gäbe es ein Buch wäre es ein Bestseller. Doch höchste Diskretion ist das Credo des Psychotherapeuten. Vertrauen ist seine Arbeitsbasis. Nach den 20 Minuten stellt er die Weichen für das nächste Gespräch.

Gefängnis-Seelsorgerin mit dabei

In einem anderen Klassenzimmer begrüßt eine freundliche Dame ihre Zuhörer. Auf dem Tisch vor ihr liegen liebevoll gebastelte Fadengrafik-Klappkarten. Verurteilte Inhaftierte im Chemnitzer Frauengefängnis haben sie ihr geschenkt. Die Haft-Seelsorgerin kommt mit der Botschaft in den Knast: Ich bin hier, weil ich Sie mag. Vertrauen entsteht. Unschuldig Verurteilte haben es besonders schwer. Es gibt sie, wie wir aus zahlreichen Zeitungsartikeln wissen. Heidemarie Köhler hört den Inhaftierten zu und nimmt dabei selbst ein Stück dieser extremen Seelenlast auf. „Es ärgert mich manchmal, dass ich nur wenig helfen kann“, macht sie klar. Drei Jahre ist sie nun schon im Ruhestand. Bei den Chemnitzer Frauen ist sie geblieben. Beim Erzählen in der lebendigen Bibliothek ist ihr die Liebe zu den Gefangenen anzusehen. Höhen und Tiefen kennt sie auch aus ihrem eigenen Leben. Sie weiß, sie ist eine der Wenigen, die für die gefangenen Frauen außerhalb des Vollstreckungssystems steht.

Wieder sind 20 Minuten um. Im nächsten Zimmer wartet Reiner Böhme. Man kennt ihn. Beim Leppersdorfer Dorffest tritt er als Musiker der Partyband „Grenzgänger“ in Erscheinung. In seinem früherem Leben war er der erste Kripochef des Berliner Neubaugebietes Marzahn. Dabei kamen ihm auch Morde unter. Heute schreibt er spannende Kriminalromane über diese Zeit. An diesem Nachmittag begegnet man auch der Schulleiterin Elke Richter. Sie und ihr Lehrerteam suchen Begabungen in den Schülern und fördern sie. Der Architekt Arnold Körner aus Ullersdorf blickt auf ein facettenreiches Berufsleben zurück. Durch und durch offen erzählt er und jeder weiß, er kennt die Branche. Die Veranstaltung hat viele Geschichten im Angebot. Sie ist als Begegnung gedacht und will neugierig machen: Auf die vielen Drehbücher, die das Leben geschrieben hat.