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Bleibt jetzt mehr Zeit zum Spielen?

Ab September reduziert der Freistaat die Zahl der Kindergartenkinder pro Erzieherin. In Löbau-Zittau gibt es trotzdem Kritik.

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© Rafael Sampedro

Von Anja Beutler

Susanne Marquardt und ihre Kolleginnen nehmen sich gern Zeit für die Kindergartenkinder in der Oderwitzer DRK-Kita Märchenland. Nur ist Zeit für jeden Einzelnen etwas, was sie nicht immer in dem Maße haben, wie es sich die Erzieherinnen wünschen. Daran wird auch die erneute Veränderung des sogenannten Betreuungsschlüssels in den sächsischen Kitas nichts ändern. Ab 1. September ist festgesetzt, dass im Kindergarten nur noch zwölf statt zwölfeinhalb Kinder von einer Erzieherin betreut werden dürfen. Seit einer ersten Veränderung dieser Festlegung im vorigen Jahr ist somit jede Erzieherin für ein Kind weniger zuständig als zuvor.

Für Susanne Marquardt ist das unterm Strich nur Zahlenspielerei. Auswirkungen auf den Alltag habe diese kosmetische Politik nicht, sagt sie. Kein Wunder, denn in den Berechnungen zählen bislang nicht um die leibhaftig vorhandenen Kinder in einer Gruppe, sondern die Stundenanzahl, die in den Verträgen mit den Eltern vereinbart sind. Eine Betreuung von neun Stunden zählt als Vollzeitplatz – viele Eltern vereinbaren aber auch sechs oder nur viereinhalb Stunden Betreuung. „Die Kinder sind in den Kernzeiten aber trotzdem alle gleichzeitig da, Essen Mittag und schlafen bei uns“, sagt die Oderwitzer Leiterin. So kann es also passieren, dass bis zu 17 Kindergartenkinder auf eine Erzieherin kommen. „Deshalb müssen wir endlich von dieser Rechnungsweise weg“, argumentiert Frau Marquardt.

So wie die Oderwitzer kommen auch die anderen Träger, die sich gegenüber der SZ äußerten, trotz der neuen Gesetzeslage mit dem vorhandenen Personal aus. „Die Verträge der Kolleginnen sind flexibel, wir haben den Spielraum“, sagt Annegret Böhm, Finanz-Expertin beim Löbauer DRK-Kreisverband, der unter anderem die Knirpsenvilla in Ebersbach betreibt. Und auch die Gemeinde Kottmar, die derzeit noch in drei eigenen Einrichtungen Kindergartenkinder betreut, muss ab September keine neuen Erzieherinnen einstellen. Dabei hätte sich Kottmars Bürgermeister Michael Görke (parteilos) im Interesse der Erzieherinnen durchaus eine großzügigere Lösung durch den Freistaat gewünscht: „Es geht um die Zukunft der Kinder.“

Dass das Thema aktuell in Sachsen große Schlagzeilen macht, hat vor allem zwei Gründe: Zum einen bescheinigte eine Untersuchung der Bertelsmann Stiftung Sachsen jüngst bundesweit den vorletzten Platz bei der Relation zwischen Kita-Kindern und Betreuern. Zum anderen erwies sich kein anderes Bundesland als so geburtenstark wie Sachsen. Letzteres macht sich zwar nicht flächendeckend im Kreis bemerkbar. Aber die DRK-Kita in Oderwitz wird beispielsweise binnen weniger Jahre zum zweiten Mal erweitert.

Der Freistaat selbst sieht sich zu Unrecht in der Kritik: Zum einen sei die Datenbasis der Bertelsmann Studie veraltet. Zum anderen könne man die Bundesländer nicht einfach vergleichen, denn in Sachsen seien nur staatlich anerkannte Erzieher und keine Assistenzkräfte gezählt worden. Zudem verweist das Kultusministerium darauf, dass er ab nächstem Jahr bis 2018 auch in den Krippen die Zahl der Kinder pro Erzieherin von sechs auf fünf reduzieren will. Im gleichen Atemzug werde die Ausbildung von Erziehern verstärkt.

Dass die Erzieherinnen selbst seit mehreren Jahren für ein besseres Verhältnis in Kindergarten- und vor allem auch Krippengruppen kämpfen, bestätigt die Gewerkschaft Verdi auf Nachfrage. Auch in den Augen der Gewerkschaft ist die nun minimale Korrektur ab September kein Fortschritt. Zumal noch eine weitere Herausforderung die Kita-Mitarbeiter zunehmend fordert, wie der Chef des Zittauer DRK-Kreisverbandes, Uwe Lammel, weiß: „Wir haben zunehmend Kinder in den Einrichtungen, die wir als sozial-emotional gestört beschreiben“, erklärt er. Sie kommen nicht nur aus Familien, in denen die Eltern sich nicht ausreichend um ihre Kinder kümmern können oder wollen.

Solche Auffälligkeiten gebe es auch in Familien, in denen die Eltern wegen der Arbeit viel unterwegs sind und wenig Zeit für die Kleinen aufbringen können. „Für solche Kinder ist eine Eins-zu-eins-Betreuung nötig“, sagt der DRK-Chef. Die gibt es nicht, weil solche Probleme in keine Schublade passen und somit kein Anspruch auf ausgiebigere Förderung besteht. Ein besserer Betreuungsschlüssel wäre zwar auch nur ein Teil der Lösung, aber er würde dennoch helfen.