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Bilderbuchkarriere eines Einwanderers

Der Görlitzer Octavian Ursu kam vor 25 Jahren nach Deutschland. Er weiß, wie Integration gelingt.

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© Pawel Sosnowsk

Von Sebastian Beutler

Seine eigene Silberhochzeit mit diesem Land liegt für Octavian Ursu nun schon einen Monat zurück. Am 1. September vor 25 Jahren ging er das erste Mal in das Görlitzer Theater zum Dienst: als Solo-Trompeter im Orchester. Der damals erst 22-jährige Rumäne konnte kaum Deutsch, hatte sich aber beim Vorspielen auf die Stelle durchgesetzt.

Nun begann für ihn sein Weg nach Deutschland. Dass er sich knapp einen Monat später bereits im wiedervereinigten Deutschland befand, überraschte ihn nicht mehr. Schließlich stand der Fahrplan für die deutsche Einheit im Sommer bereits. Dass aber aus den ursprünglich zwei, drei Jahren, die er in Görlitz bleiben wollte, mittlerweile ein Vierteljahrhundert geworden ist, das nötigt ihm mitunter noch ein ungläubiges Staunen ab.

Wenn er am Sonnabend im Landtag der Feier zur Wiedervereinigung beiwohnt, dann tut er das als deutscher Staatsbürger, der sich in der Landessprache so selbstverständlich verständigen kann wie auf Rumänisch.

Eine solche „Karriere“ erhofft sich der Görlitzer Landtagsabgeordnete auch von vielen der Flüchtlinge, die in diesen Tagen nach Deutschland kommen. Auch für ihn ist deren Ankunft das beherrschende Thema dieser Tage. Die Voraussetzungen schätzt er als gut ein. Denn die meisten Asylbewerber im Landkreis stammen aus Syrien – beinahe 75 Prozent.

Sie gelten als besser und höher ausgebildet als viele andere, die in diesen Tagen in Deutschland das Ziel ihrer Hoffnungen sehen. Da vertraut er auch auf das Urteil seines Vaters, der in den 1980er Jahren beruflich in Syrien zu tun hatte, und die Menschen in dem nahöstlichen Land als aufgeschlossen und der westlichen Lebensweise zugewandt erlebte. Heute bezeichnet Ursus Vater den Bürgerkrieg und dessen schlimme Folgen einfach nur als „Trauerspiel“.

Von klassischen Einwanderungsländern lernen

Doch eine solche Integration gelingt nicht im Selbstlauf. Zunächst müssten die Deutschen selbst einen Konsens darüber finden, was sie bedeutet. In dieser Frage sieht Ursu das Land gespalten und empfiehlt, von klassischen Einwanderungsländern wie Kanada, den USA oder den Niederlanden zu lernen. Dort werde mit einer großen Selbstverständlichkeit erwartet, dass Einwanderer selbst aktiv werden, sich mit ihrem neuen Heimatland vertraut machen und dessen Spielregeln lernen und akzeptieren.

Europäische Lebensart, Geschichte, Heimatkunde – all das müsse ihnen vermittelt werden, um keine Parallelgesellschaften entstehen zu lassen. „In Kanada wird es von den neuen Mitbürgern einfach erwartet, dass sie die Hymne mitsingen, wenn sie die Staatsbürgerschaft verliehen bekommen“, sagt Ursu. Er kennt sich ein wenig in dem nordamerikanischen Land aus: sein Bruder lebt dort.

Als hilfreich empfindet Ursu die derzeit sehr überhitzte Diskussion dabei aber nicht. Ihm fehlt die Balance zwischen der Willkommenseuphorie auf der einen Seite und der Panikmache vor dem Fremden auf der anderen. Aber weder sei die Kriminalität unter den Asylbewerbern höher als unter den einheimischen Bürgern noch würden die Flüchtlinge, wenn sie soweit seien, den Deutschen die Arbeit wegnehmen.

Wer sich in das Arbeitssystem integrieren wolle, könne heute schon auf zunehmend freie Stellen zurückgreifen. Fordern und Fördern – dieses alte Prinzip – gelte eben auch bei dieser Aufgabe. Dabei habe das Willkommensbündnis in Görlitz eine extrem gute Arbeit geleistet, weil es als neutraler Mittler wahrgenommen wurde. „Es wäre wünschenswert“, sagt Ursu, „wenn es diese Neutralität behalten könnte.“

Wenn sich alle an Recht und Gesetz halten, das Grundgesetz als Maßstab für das Handeln achten und die Asylbewerber zunehmend die deutsche Sprache lernen und auch arbeiten können, dann könnte ihnen das widerfahren, was Octavian Ursu in den vergangenen 25 Jahren selbst erlebte. „Je klarer wurde, dass ich mit meiner Familie in Görlitz bleiben würde, umso mehr wuchs unser Zugehörigkeitsgefühl.“ Heute sagt Ursu selbstbewusst in Interviews: „Vor 25 Jahren gehörte ich nicht zu Sachsen. Heute würde ich behaupten, dass ich als deutscher Staatsbürger und Mitglied des Landtages zu diesem Land gehöre“.