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Bewährungsstrafe für Rabenmutter

Das Martyrium hat für die dreieinhalbjährige Anna ein Ende, seit das Kind wieder bei seinen Pflegeeltern in Riesa ist. Die sechsfache Mutter hatte das Kind schwer vernachlässigt.

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Von Jürgen Müller

Das Martyrium hat für die dreieinhalbjährige Anna (Name geändert) ein Ende, seit das Kind wieder bei seinen Pflegeeltern in Riesa ist. Die leibliche Mutter hat das Kind sträflich vernachlässigt. Innerhalb von acht Wochen war Anna auf 10,5 Kilogramm abgemagert. In völlig verwahrlostem Zustand kam die Kleine mit zahlreichen Verletzungen ins Krankenhaus. Die Familienhelferin des Jugendamtes hatte nicht bemerkt, wie sehr das Kind vernachlässigt wurde.

Arzt stellt 28 Verletzungen fest

Die Kindesmutter musste sich nun vor dem Amtsgericht Meißen verantworten. Am gestrigen Nachmittag wurde das Verfahren fortgesetzt. Es sollten zwei Ärzte als Zeugen vernommen werden. Doch das erwies sich als entbehrlich. Die Angeklagte legte nun doch so eine Art Geständnis ab. „Ich sehe ein, dass ich meine Fürsorgepflicht verletzt habe. Ich hätte mit dem Kind gleich zum Arzt gehen sollen“, sagt sie. Das hätte der Kleinen in der Tat viel erspart. Der Facharzt für Rechtsmedizin Dr. Uwe Schmidt hatte das Kind nach der Einlieferung ins Krankenhaus untersucht. Gestern stellte er sein Gutachten vor. Insgesamt 28 Verletzungen listet der Rechtsmediziner auf, darunter drei Brüche – einer war erst zwischen zwei und vier Wochen alt – etliche Hämatome, Kratzer, Einblutungen an Kopf, Oberkörper, Armen und Beinen.

Nicht alle, aber ein Großteil der Verletzungen, sei auf erhebliche, stumpfe Gewalteinwirkung über einen längeren Zeitraum zurückzuführen. Andere Verletzungen seien als „kindestypisch“ einzuordnen. Die kann sich Anna also durchaus beim Spielen zugezogen haben. Nicht festlegen will sich der Rechtsmediziner bei einem Ellenbogenbruch. Er könne entstanden sein durch Hinfallen des Kindes auf eine Kante, durchaus aber auch durch einen Schlag mit einem Kantholz.

Der Behauptung der Angeklagten, ihr Kind neige nun mal schnell zu blauen Flecken, widerspricht er. Dazu hätte die Kleine eine gestörte Blutgerinnung haben müssen. Dafür finden sich jedoch keine Anzeichen. In einer anderen Sache legt er sich fest. Es gäbe keine Hinweise, dass dem Kind mit einem Pflaster der Mund zugeklebt wurde. Das hatten die Pflegeeltern behauptet. Auch Belege, dass Haarbüschel herausgerissen wurden, hat er nicht gefunden. Insgesamt beschreibt er den damaligen Zustand des Kindes als ungepflegt. Aufgrund der Umstände ging er von akuter Gefährdung des Kindeswohles aus.

Richterin Ute Wehner kritisiert indirekt auch das Jugendamt: „Zwar sind Sie als Mutter für Ihr Kind verantwortlich, das Jugendamt muss aber darüber wachen, dass der kleinen Seele nichts passiert. Ihrer Tochter ist schon viel zu viel passiert“, sagt sie in der Verhandlung.

Bequemlichkeit, emotionale Kälte

Klar ist, dass die Lommatzscherin, die inzwischen in Meißen lebt, mit der Erziehung ihrer sechs Kindern, die von vier Männern stammen, überfordert ist. Das entschuldigt jedoch nichts. Die Hauptschülerin, die eine Lehre abbrach, weil sie „keine Lust“ hatte, lebt von Arbeitslosengeld II, Kindergeld und Unterhaltsvorschuss. Eine richtige Arbeit hat sie noch nie gehabt, zeitweilig machte sie mal Ein-Euro-Jobs. Das älteste Kind geht in die Schule, alle anderen sind bei ihr zu Hause. In eine Kindereinrichtung geht keines von ihnen.

Für Staatsanwältin Sabine Greiffenberg haben sich die Vorwürfe im Grunde bestätigt. Allerdings geht sie nicht mehr wie in der Anklage von böswilliger Vernachlässigung aus. Sie spricht von Überforderung, Bequemlichkeit, emotionaler Kälte, Quälen durch Unterlassen. Sie nimmt es der Angeklagten nicht ab, dass sie die Brüche ihrer Tochter nicht bemerkt haben will. Sie fordert wegen Misshandlung von Schutzbefohlenen eine Haftstrafe von sechs Monaten auf Bewährung. Das ist das Mindeste, was verhängt werden kann.

Das Gericht verurteilt die Angeklagte zu dieser Strafe. Die Bewährungszeit wird auf zwei Jahre festgelegt, außerdem muss sie dem Gericht jeden Wohnsitzwechsel melden und die Kosten des Verfahrens tragen. Zum Nachdenken gibt die Richterin der Lommatzscherin das Gedicht „Kinder“ von Bettina Wegner mit. Darin heißt es unter anderem: „Sind so kleine Hände, winz’ge Finger dran. Darf man nie drauf schlagen, die zerbrechen dann. ... Sind so kleine Seelen, offen und ganz frei. Darf man niemals quälen, geh’n kaputt dabei.“ Und sie gibt der Angeklagten noch einen guten Tipp mit auf den Weg: „Sie sollten keine Kinder mehr in die Welt setzen.“ Das Urteil ist bereits rechtskräftig.