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„Bewährung wird es nicht geben“

Schon vor der Beweisaufnahme deutet der Richter des Landgerichtes Görlitz einem brutalen Handtaschen-Räuber an, streng zu urteilen.

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© Jens Trenkler

Von Ralph Schermann

Frieder Hanke* hat im Gefängnis einen Brief geschrieben. Darin bittet er um Milde. Er verweist auf eine beabsichtigte Therapie, vor allem aber auf eine Arbeitssuche, um seinen Schuldenberg abtragen zu können. Der Vorsitzende Richter Hinrichs macht Hanke keine Hoffnung: Wenn eines schon vor der Beweisaufnahme feststehe, dann das: Bewährung wird es nicht geben, ein Aufenthalt im Gefängnis oder in einer Entziehungsanstalt sei zu erwarten..

Damit begann am Montag vor der mit zwei Richtern und zwei Schöffinnen besetzten Strafkammer des Landgerichtes Görlitz die Fortsetzung des Verfahrens gegen jenen Räuber, der in drei Fällen Frauen schlug, um an deren Handtaschen zu gelangen. Der Richter sortiert, dass aus jetziger Sicht die Taten als teils einfacher, teils besonders schwerer Raub einzuschätzen seien, begangen teils mit einfacher, teils gefährlicher Körperverletzung. Dem 25-Jährigen auf der Anklagebank ist solche Gewalt auf den ersten Blick nicht zuzutrauen. Er wirkt eher unscheinbar, körperlich fast schon schmächtig. Doch er macht es dem Gericht leicht – er gibt alles zu, auch jene Tatvorwürfe, an die er sich „wegen des Suffs“ selbst gar nicht erinnern könne.

Staatsanwältin Söhnel trägt alle Fälle genau vor. Am Montag schilderten zudem die drei angegriffenen Frauen im Detail, wie sie zu Boden geworfen wurden, wie der Täter sie schlug und trat. Die Kammer zeigt Fotos von den Verletzungen, die die Betroffenen davontrugen: Prellungen, Abschürfungen, aufgeplatzte Haut.

Zu erkennen sind drei gleiche Tatmuster: Stets hat sich der Angeklagte Frauen von hinten genähert, um ihnen Taschen zu entreißen. Es redete bei keinem seiner Verbrechen auch nur ein einziges Wort. Stets aber wendete er Gewalt an, nämlich immer so lange, bis die Taschen in seiner Hand waren und er damit weglaufen konnte. Am 1. Dezember 2013 ging er um 21.40 Uhr gegen eine Frau an der Ecke Rauschwalder-/Leipziger Straße vor. Die 47-Jährige erscheint mit ihrem Therapeuten im Zeugenstand, hat den Überfall bis heute psychisch nicht verkraftet. Am 4. Juli 2016 folgte um 0.30 Uhr ein ähnlicher Angriff auf eine Passantin (58) auf der regennassen Alten Nieskyer Straße.

Am 7. Januar 2017 schließlich griff er noch brutaler als bisher auf der Schulstraße eine Frau an. Weil die 42-Jährige sich weiter an die Tasche klammerte, schlug Hanke immer und immer wieder auf die Frau ein, trat unzählige Male gegen den Kopf und ins Gesicht der am Boden Liegenden, fügte ihr einen Nasenbeinbruch, einen Durchbruch des Augenhöhlenbodens zur Kiefernhöhle sowie weitere Verletzungen zu. Bei ihrer Befragung im kleinen Schwurgerichtssaal bricht sie in Tränen aus. Sie schildert, wie seit der Attacke ihre Sehkraft nachlässt, ihre täglichen Kopfschmerzen manchmal unerträglich sind, sie Flecke in einem Auge sieht. Seit jenem Tag im Januar kann sie sich nicht mehr konzentrieren, sie leidet unter Gleichgewichts- und auch Schlafstörungen. Und sie hat bei jedem Gang aus dem Haus Angst.

    Die Beute aus den ersten beiden Fällen kenne er nicht, sagt Hanke. Weil die Polizei anrückte, habe er die Taschen weggeworfen. Zur Tat im Januar habe ihn ein anderer genötigt. „Bei dem habe ich Schulden, vor dem habe ich Angst“, erklärt der Angeklagte. Er habe dessen Motorrad zu Schrott gefahren, seitdem warte der auf Wiedergutmachung. „Kevin hat gesagt, die Frau da hat Geld, hole es. Ich habe noch ein Bier getrunken, die Frau verfolgt und, na ja, es war Scheiße, aber ich habe es dann eben doch gemacht“, gesteht Hanke.

In der Tasche waren ein Handy, Papiere und 250 Euro. All das habe er aber doch nicht dem besagten Kevin gegeben, sondern wollte es für sich nutzen. Doch auch dazu kam er nicht. Drei Tage nach der Tat wurde er festgenommen, sitzt seitdem in Untersuchungshaft. Die wurde nur mal unterbrochen wegen einer regulären Haft, die aus anderen Taten abzusitzen war. Die Spuren der Ermittlung lassen ihm die beiden anderen Fälle zuordnen, dessen Ursache Hanke mit seiner Trunksucht begründet: „Ich habe schon früh gesoffen, Bier, Wodka, Braunen, den ganzen Tag über. Ich wollte mein Problem ertränken.“ Das Problem war seine Mutter, die ihn und seine jüngeren Geschwister schon als Zwölfjährigen von einem Tag auf den anderen verlassen habe. „Da kam ich dann leider Gottes zum Vater“, erzählt er. Einem Trinker.

Im Suff sei er zum Randalierer geworden. „Ich wählte mir lieber richtige Feinde als falsche Freunde, und so wurde das immer schlimmer“, sagt er. Seit 2012 stand Frieder Hanke viermal vor dem Amtsgericht wegen zahlreicher Fälle von Beleidigung, Urkundenfälschung, Körperverletzung, Fahren unter Alkohol und Herbeiführen schwerer Verkehrsunfälle mit mehreren Verletzten. In Ebersbach im Schöpstal fuhr er mit 1,6 Promille Alkohol im Blut eine Verkehrsampel um. Insgesamt liefen Strafbefehle über mehrere Tausend Euro auf, dazu enormer Schadenersatz.

Eine zuletzt ausgesprochene Bewährungsfrist dauert noch an; allein schon deshalb wäre eine erneute Verurteilung auf Bewährung gar nicht möglich. Zumal der Suff teilweise auch als Schutzbehauptung gelten könnte: Keine der drei Überfallenen konnte sich erinnern, am Täter irgend eine Spur von Alkohol gerochen zu haben. Die 42-Jährige mutmaßt: „Ich glaube eher, dass er ganz andere Drogen genommen hatte.“

Bei ihr hat Hanke sich schriftlich entschuldigt. Bei den beiden anderen Frauen tat er das zur Verhandlung mündlich. Wie es weitergeht, wird der nächste Prozesstag zeigen. Der ist am 15. November.

*Name von der Redaktion geändert