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Bettelnde Kinder auf den Straßen

In der Innenstadt, am Schillerplatz und in der Neustadt sind sie unterwegs. Richtig zuständig fühlt sich niemand, zumal Betteln an sich nicht verboten ist.

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© Stefan Becker

Von Julia Vollmer

Die Blicke der Passanten kleben am Boden. Schnell eilen sie vorüber an dem Jungen, der vor der Altmarkt-Galerie sitzt. Manche mögen denken, wenn ich das Kind, das einen Pappbecher mit ein paar Münzen Kleingeld vor sich stehen hat, nicht sehe, ist es gar nicht da. Bettelnde Kinder mitten in der Stadt – das Problem wollen viele nicht wahrhaben.

Ähnlich ist das Bild vor dem Rewe-Supermarkt auf der Bautzner Straße mitten in der Neustadt. Dort kauern regelmäßig Jungen auf der Straße. Wie alt sie sind, ist schwer zu schätzen. Unter 16 Jahren auf jeden Fall, manche vielleicht gerade sechs. Ein Gespräch mit der SZ kommt nicht zustande. Angst steht in ihren Augen, Angst vor der Polizei oder Behördenmitarbeitern, die sie wegschicken. Dazu kommt die Sprachbarriere. Die Kinder stammen meist aus Rumänien, Tschechien und Bulgarien.

Das vermuten auch die Mitarbeiter aus dem Supermarkt, der Drogerie oder des Bäckers an der Bautzner Straße. Sie beobachten die bettelnden Kinder beinahe jeden Tag, seit die Temperaturen wieder gestiegen sind. Passanten beschweren sich bei den Verkäuferinnen. Doch die können nichts tun.

Das Problem scheint, dass sich so richtig niemand für die Kinder zuständig fühlt. Das Dresdner Ordnungsamt beruft sich auf die städtische Polizeiverordnung. Betteln an sich ist erlaubt, steht dort. Das gilt natürlich auch für Kinder. Verboten ist lediglich aggressives Betteln. Also mit wiederholtem Ansprechen, Anfassen oder Betteln mit Tieren. Ist ein Elternteil dabei, wird lediglich ein Platzverweis ausgesprochen, mehr passiert nicht. Auch bei wiederholtem Schnorren der Kinder müssen die Eltern nicht mit einer Geldstrafe oder anderen Sanktionen rechnen, räumt das Ordnungsamt ein.

Regelmäßige Kontrollen durch das Amt gibt es jedoch nicht. Einmal mehr, wie schon bei den Straßenmusikern, beruft sich die Verwaltung auf fehlende Mitarbeiter. „Aus Kapazitätsgründen können spezielle Kontrollen in der Regel nicht stattfinden“, heißt es. Nur wenn es einen Anlass gibt. Schwerpunkte sind das Areal zwischen Hauptbahnhof und Altmarkt, die Bautzner Straße aber auch der Schillerplatz und große Umsteigepunkte von Bus und Bahn wie der Postplatz und der Pirnaische Platz. In diesem Jahr erwischte das Ordnungsamt schon 14 aggressive Bettler. Über ihr Alter macht das Amt aber keine Angaben.

Auch die Polizei kennt das Problem mit den minderjährigen Bettlern. Die Beamten verweisen auf das Ordnungsamt, das sei zuständig. „Stellen wir einen Verstoß gegen die Polizeiverordnung fest, handeln wir aber natürlich“, so Sprecher Marko Laske. Da das Betteln von Kindern nicht verboten ist, könnte man nicht viel mehr machen.

Doch andere Städte zeigen, dass es möglich ist, das zu verbieten. Im Juni 2015 untersagte der Berliner Senat das Betteln in Begleitung von Kindern und durch Kinder, um sie effektiver vor einem Missbrauch zu schützen. Bei Verstoß werden nun bis zu 500 Euro fällig.

Bisher gibt es neben dem Platzverweis nur ein Mittel für die Behörden. Greifen sie einen aggressiv bettelnden Jungen oder ein Mädchen ohne Eltern vom Ordnungsamt auf, wird es zum Kinder- und Jugendnotdienst gebracht. Inobhutnahme heißt das im Behördendeutsch. Doch hier bleiben die Kinder aus Rumänien, Tschechen oder Bulgarien meist nicht lange, erzählt Jugendamtsleiter Claus Lippmann. 18 Plätze gibt es im Notdienst, sie werden von Sozialarbeitern betreut. In der Regel werden sie nach ein paar Stunden oder am nächsten Tag wieder abgeholt. Seine Mitarbeiter bemühen sich, die Eltern ausfindig zu machen, nicht immer gelingt das.

Es spielt keine Rolle, welche Nationalität das Kind hat, wenn es beim Betteln erwischt wird. Auch deutsche Minderjährige werden in so einem Fall in den Notdienst gebracht. Danach wird das Gespräch mit den Eltern, dem Jugendamt und den Sozialarbeitern aus dem Notdienst gesucht. Die Voraussetzungen für eine Inobhutnahme sind streng. Nicht genügend Essen und Trinken, Gewalt und Verwahrlosung können Gründe sein.

Das kann auch passieren, wenn Kinder die Schule schwänzen. Denn ab dem sechsten Lebensjahr gilt die Schulpflicht. Jedoch nur für Kinder mit festem Wohnsitz in Deutschland, so das Schulverwaltungsamt. Dieser sei deshalb so wichtig, weil Kindern im Grundschulalter je nach ihrem Wohnbezirk eine Schule angeboten wird.

Der Unterricht ist wichtig, das betont auch Björn Redmann vom Kinder- und Jugendhilferechtsverein. Er geht nicht davon aus, dass die Jungen von der Bautzner Straße in Banden organisiert sind. „Sie betteln aus Armut.“ Deshalb müsse die Verwaltung dringend handeln. Das fordert auch Neustadt-Stadträtin Tina Siebeneicher (Grüne). Sie will das Thema im nächsten Jugendhilfeausschuss aufs Tableau bringen. „ Betteln ist Kinderarbeit, das dürfen wir nicht hinnehmen.“