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Bettelkinder werden als Werkzeuge missbraucht

In Leipzig, Berlin und Essen ist das Betteln bereits untersagt. Jetzt wird auch in Dresden über ein Verbot diskutiert.

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© Stefan Becker

Von Julia Vollmer

Dresden. Sie reichen den Passanten stumm einen Pappbecher hin oder kauern vor den Supermärkten auf dem Boden – bettelnde Kinder sind immer öfter im Dresdner Straßenbild zu sehen. Bisher erlaubt die Polizeiverordnung das Betteln von Kindern. Doch nun ist laut Jugendamtsleiter Claus Lippmann ein Verbot im Gespräch.

Bringt den Kindern ein Verbot überhaupt etwas?

Dazu gibt es verschiedene Meinungen. Uwe Lübking vom Städte- und Gemeindebund hält ein Verbot für sinnvoll. Oft seien gerade Frauen und Kinder Opfer von Bettlerbanden. Es gäbe Fälle, bei denen die Kleinen mit Medikamenten ruhiggestellt werden, damit sie in den Armen bettelnder Mütter mitleiderregend aussehen. Passanten sollten den Kindern kein Geld geben, sagt Lübking. Das würde den Anreiz nur vergrößern. Linken-Fraktionschef André Schollbach fordert schnelles Handeln von den Behörden: „Die Kinder werden von skrupellosen Erwachsenen vorgeschickt und systematisch als Werkzeuge zum Betteln missbraucht.“ In Leipzig, Berlin und Essen ist Betteln von und mit Kindern verboten. Bei einem Verstoß können Bußgelder in Höhe von bis zu 1 000 Euro fällig werden. Leipzig konnte nach dem Verbot von Oktober 2016 noch keinen Verstoß feststellen, sagt Stadtsprecher David Quosdorf. Allerdings ist der Zeitraum von sechs Monaten auch recht kurz. Dieter Wolfer, Chef der Dresdner Treberhilfe, ist gegen ein Verbot. Damit würde man die Kinder kriminalisieren und im schlimmsten Fall in die versteckte Prostitution treiben.

Woher kommen die Kinder, und wo sind sie unterwegs?

Die Kinder kommen meist aus der Slowakei, aus Rumänien, Bulgarien und Tschechien. Unterwegs sind sie vor allem rund um den Altmarkt und den Albertplatz, an der Bautzner Straße in der Neustadt, am Pirnaischen Platz sowie am Schillerplatz in Blasewitz.

Sind die Kinder Mitglieder von Bettlerbanden?

Auch dazu gibt es verschiedene Ansichten. Von organisierten Bettlerbanden spricht Uwe Lübking vom Städte- und Gemeindebund. „Ihr Vorgehen wird zunehmend aggressiver, es häufen sich auch die Beschwerden der Einzelhändler in den Innenstädten.“ Das Vorgehen in Gruppen erschwere es den Behörden, dagegen vorzugehen, da man sich gegenseitig warnt. Dieter Wolfer, Chef der Treberhilfe, beobachtet hingegen keine Bandenbildung. „Viele Kinder betteln schlicht aus Armut und werden nicht vorgeschickt.“

In welcher Form und wie oft greifen die Behörden ein?

Zuständig ist das Ordnungsamt. Das beruft sich auf die Polizeiverordnung. Darin ist Betteln erlaubt. Auch das von Kindern. Nur aggressives Betteln mit Anfassen, wiederholtem Ansprechen oder mit Hunden ist verboten. Das Ordnungsamt meldet einen Anstieg der Verstöße. Während es 2015 insgesamt 37 gab, waren es im vergangenen Jahr schon 109. 2017 registrierte das Amt bereits 30. Werden die Kinder von der Polizei aufgegriffen, prüfen die Beamten die Personalien und ob ein Aufenthaltsrecht vorliegt, sagt Bundespolizeisprecher Holger Uhlitzsch. Außerdem schauen die Beamten, ob die Eltern die Aufsichtspflicht verletzen. Greifen die Mitarbeiter des Ordnungsamtes oder die Polizei ein Kind ohne Eltern auf, wird es in den Kinder- und Jugendnotdienst gebracht.

Was passiert im Kinder- und Jugendnotdienst?

Im Notdienst gibt es derzeit 18 Plätze. Die Kinder werden dort 24 Stunden am Tag von Sozialpädagogen betreut. Wird ein Kind dort hingebracht, nehmen die Mitarbeiter, so weit möglich, die Personalien auf, so das Jugendamt. Name des Kindes, Geburtsdatum, Nationalität sowie die Namen der Eltern werden notiert. Häufig werden diese ohnehin von der Polizei und dem Ordnungsamt übermittelt. Einige der Kinder haben eine europäische Gesundheitskarte mit ihren Daten bei sich, so die Stadt. Meist holen die Väter ihre Kinder schon nach ein paar Stunden wieder ab, vorher müssen sie sich ausweisen. Da Betteln von Kindern nicht verboten ist, drohen den Eltern keine Konsequenzen.

Wie kann den Kindern am besten geholfen werden?

Wohnungen für die Familien und Kitaplätze für die Kinder, das wünscht sich Gjulner Sejdi, Vorsitzender des Sinti-und-Roma-Vereins Romano Sumnal aus Leipzig. So wären sie weg von der Straße. Sinti und Roma seien meist EU-Bürger und dürfen in Deutschland leben und arbeiten. „Trotzdem leben sie oft auf der Straße, können ihre Kinder nicht in Schulen oder Kindergärten anmelden, in Ämtern und Behörden erfahren sie meist Ablehnung und Diskriminierung“, erzählt er. Am 27. April soll das Thema im Jugendhilfeausschuss aufs Tableau kommen. „Das Hin- und Herschieben zwischen den Behörden ist unwürdig, kein Kind bettelt freiwillig“, sagt Dorothee Marth, die für die SPD in dem Ausschuss sitzt. Angebote von Sozialpädagogen müssten her. Bildungsbürgermeister Hartmut Vorjohann (CDU) hatte sich im SZ-Interview für ein Verbot ausgesprochen. Jetzt wird darüber beraten.