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Betreuerin prellt schwerbehinderte Frau

Um 3 800 Euro soll eine Pirnaerin zwei Schützlinge betrogen haben. Vor Gericht erzählt sie abenteuerliche Geschichten.

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© dpa

Von Yvonne Popp und Christian Eissner

Pirna. Niemals, beteuert Ines E., würde sie einem Menschen Geld stehlen. Schon gar nicht einem so schwer behinderten wie ihrer Schwägerin. Das habe sie nicht nötig, sagt sie am Amtsgericht in Pirna.

Laut Staatsanwaltschaft hatte Ines E. aber genau das getan. Vom Sparbuch ihrer geistig behinderten Schwägerin, als deren Betreuerin sie eingesetzt war, soll sie über neun Monate hinweg insgesamt 2 550 Euro abgehoben und für sich behalten haben. Als das Betreuungsgericht die Unregelmäßigkeiten bemerkte und eine Rückzahlung der Summe forderte, war die Angeklagte zur Polizei gegangen. Dort hatte sie behauptet, ein Radfahrer habe ihr das Geld gestohlen, als sie auf dem Weg zur Bank war, um es auf das Konto der Schwägerin zurückzuzahlen.

Zur Hauptverhandlung in Pirna gibt die 46-jährige gelernte Verkäuferin zu, das Geld vom Sparbuch abgehoben zu haben. „Davon sollte das Zimmer meiner Schwägerin renoviert werden“, erzählt sie dem Gericht. Sie erklärt, das Geld nur deshalb Stück für Stück in kleinen Beträgen geholt zu haben, weil sie nicht mit so viel Bargeld in der Tasche habe draußen herumlaufen wollen. „Was dabei passieren kann, sieht man ja“, sagt sie auf den angeblichen Überfall des Radfahrers anspielend.

Dass dieser tatsächlich stattgefunden hat, bezweifelt nicht nur die Staatsanwaltschaft. Auch Richter Andreas Beeskow glaubt der Angeklagten kein Wort. Eindringlich mahnt er Ines E., bei der Wahrheit zu bleiben. Sollte sie weiter an ihrer Geschichte festhalten, sehe er keine andere Möglichkeit, als „das volle Programm zu fahren“. Das bedeutet in diesem Fall, dass alle Zeugen – womöglich an mehreren Verhandlungstagen – gehört werden müssen. Das steigere nicht nur die Prozesskosten, sondern wirke sich auch strafverschärfend aus, macht Beeskow deutlich.

Nach dieser klaren Ansage knickt die Angeklagte ein und gibt zu, dass alles gelogen war. Sie räumt auch ein, Schulden in Höhe von 30 000 Euro zu haben. Das Geld vom Sparbuch ihrer Schwägerin habe sie genommen, um davon teilweise ihren Lebensunterhalt bestreiten zu können, sagt sie. Als das Betreuungsgericht wissen wollte, wo das Geld abgeblieben war, habe sie sich nicht anders zu helfen gewusst, als die Geschichte mit dem Radfahrer zu erfinden. Aber nicht nur ihrer Schwägerin war Ines E. ans Geld gegangen. Neben ihr betreute sie auch noch einen Freund ihres Sohnes. Dieser Freund war 2013 aus dem Kinderheim entlassen worden. Drogensüchtig und arbeitslos, war der junge Mann nicht in der Lage, sich behördlichen und finanziellen Angelegenheiten zu stellen. Das übernahm die Angeklagte.

Doch auch hier kam es zu Unregelmäßigkeiten. Weil Miete und Telefonrechnungen nicht ordnungsgemäß von ihr gezahlt worden waren, wurde dem jungen Mann Wohnung und Mobilfunkvertrag gekündigt. Zudem waren immer wieder kleinere Mengen Bargeld von seinem Konto verschwunden, deren Summe sich nach drei Jahren auf 1 250 Euro belief.

Beweise reichen für Schuldspruch

Ob dieses Geld auch von der Angeklagten veruntreut worden war, kann vor Gericht nicht schlüssig belegt werden. Am Ende reichen aber ihr Geständnis und die Tatsache, dass sie sich nicht genügend um die Angelegenheiten des jungen Mannes gekümmert hatte, für einen Schuldspruch aus. Wegen schwerer gewerbsmäßiger Untreue und dem Vortäuschen einer Straftat verurteilt sie Richter Andreas Beeskow zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und drei Monaten. Weil die Ines E. bisher noch nie polizeilich in Erscheinung getreten ist, wird die Strafe zu einer dreijährigen Bewährung ausgesetzt. Während dieser Zeit darf die Frau, die mittlerweile in Dresden lebt, keine Aufgaben im Betreuungsbereich übernehmen. Des Weiteren muss sie 100 gemeinnützige Arbeitsstunden leisten und für die Gerichtskosten aufkommen.

Dass gerichtlich bestellte Betreuer Geld unterschlagen oder im Namen ihrer Schützlinge zweifelhafte Geschäfte tätigen, taucht immer mal wieder in den Nachrichten auf. „Tatsächlich handelt es sich aber um absolute Ausnahmefälle“, sagt Richter Andreas Beeskow. „Es gibt ausreichend Kontrollmechanismen.“ Die Betreuer werden vom Betreuungsgericht überwacht, sie müssen den Rechtspflegern dort unter anderem die Kontounterlagen ihrer Klienten zur Prüfung vorlegen und jährlich einen Rechenschaftsbericht schreiben. Dank dieser Kontrolle seien auch die Unregelmäßigkeiten im verhandelten Fall entdeckt worden.

Im Amtsgerichtsbezirk Pirna leben aktuell über 1 000 Menschen, deren Geschäfte von gerichtlich bestellten Betreuern erledigt werden müssen, sagt Beeskow. „Tendenz steigend.“