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Bestürzung nach Dissener Homann-Aus

So sieht man die Entwicklung im Westen - ein Gastbeitrag der Neuene Osnabrücker Zeitung. Dissen hat seinen „schwarzen Freitag“ erlebt. Bei einer außerordentlichen Betriebsversammlung wurden die Mitarbeiter des Feinkostherstellers Homann über das Aus ihres Produktionsstandortes bis zum Jahr 2020 informiert.

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© Jörn Martens

Dissen. Um zehn Uhr ist es wie ausgestorben auf dem kleinen Parkplatz vor dem Homann-Werkstor. Ein Pappschild hängt vor dem Werksverkauf: Von zehn bis 13 Uhr geschlossen, steht darauf. Von den Pfiffen und Buh-Rufen, die in diesen Minuten während der außerordentlichen Betriebsversammlung an Heiner Kamps, den Aufsichtsratsvorsitzenden der Müller-Gruppe, gerichtet sind, ist in der kalten Freitagmorgen-Luft wenig zu spüren. „Das habe ich mir im Grunde schon gedacht“, sagt Wolfgang Mausch. Die Nachricht von der geplanten Werkschließung in Dissen hat er - wie auch die meisten Mitarbeiter - den Medienberichten entnommen. Bei der Werkverkaufsstelle versuchte er heute trotzdem sein Glück: „Für Dissen ist es eine Katastrophe“.

Von der Katastrophe direkt betroffen ist Helene Neufeld. Und trotz allem: An Dissens „schwarzem Freitag“ steht sie in ihrem kleinen Imbisswagen vor den Toren des Lebensmittelherstellers, geht geschäftig um den Wagen, bereitet alles für den Mittag vor. Ihr Mann arbeitet seit 26 Jahren bei Homann: „Es ist sehr schade, auch für mich persönlich“, sagt sie. Die zwei dunkelhaarigen Männer, die an ihrem Kaffee nippen, nicken. Die beiden Homann-Mitarbeiter sind gar nicht erst zur Betriebsversammlung gegangen. „Im Grunde war es absehbar“, sagen sie. Ein bisschen resigniert. Nun heiße es nach vorne blicken.

Hartmut Nümann fiel das Lächeln am Freitag sichtlich schwer. Der Dissener Bürgermeister erfuhr am Vorabend durch Medienberichte und schließlich den Anruf eines leitenden Homann-Mitarbeiters von den aktuellen Entwicklungen. „Wir haben alles getan, um Homann zu halten. Mich hat es in den letzten Wochen aber schon gewundert, warum sich das Unternehmen nicht erklärt hat.“ In einem persönlichen Gespräch habe ihm Unternehmer Heiner Kamps am Freitagmorgen aber versichert, dass der Betrieb bis zum Jahr 2020 weiterlaufe. Kamps hatte Homann 2007 über seine „International Food Retail Capital“ erworben.

„Ich sehe natürlich die unternehmerische Seite, denn hier wird eben unternehmerisch gehandelt. Aber mich beschäftigt vor allem, was mit den Arbeitnehmern wird. Viele haben gebaut und wohnen mit ihren Kindern hier. Was passiert jetzt mit denen?“, fragt sich Nümann. Der Bürgermeister macht sich auch Sorgen um die zahlreichen Zulieferbetriebe, die sich in Teilen komplett auf Homann ausgerichtet haben.

Gleichzeitig richtete Nümann den Blick nach vorne: „Sollte Homann wirklich gehen, werden wir andere tolle Unternehmen in die Stadt holen. Dissen bleibt ein attraktiver Industrie- und Gewerbestandort.“ Gleichzeitig bewegt ihn die Frage, worin die exakten Gründe für eine Umsiedlung liegen könnten. „Die Grundstückspreise werden mit Sicherheit nicht der Grund sein.“

Noch bevor sich am Freitagmorgen die Berichterstatterteams vor dem Werkstor versammelten, versuchte SPD-Bundestagsmitglied Rainer Spiering sein Glück an der Pforte. Der gebürtige Dissener wollte eigentlich der Betriebsversammlung beiwohnen - die Geschäftsführung machte ihm jedoch schon am Pförtnerhäuschen einen Strich durch die Rechnung. „In welcher Art und Weise hier mit einem Mitglied des Bundestags verfahren wird, das macht mich sauer“, sagte ein sichtlich aufgebrachter Spiering, der wenige Augenblicke zuvor des Geländes verwiesen worden war.

Der Sozialdemokrat will jetzt prüfen lassen, ob ein Betriebsumzug ins sächsische Leppersdorf möglicherweise auch mit Steuergeld unterstützt wird. „Wenn das so sein sollte, müssen wir uns ganz intensiv darüber Gedanken machen, warum hier ein Standort mit öffentlichen Mitteln plattgemacht und an anderer Stelle wieder aufgebaut wird.“

„Ich habe es in meiner politischen Laufbahn noch nicht erlebt, dass ein Werk mit so einer tiefen Tradition sang- und klanglos zugemacht wird“, sagt Spiering. „Müller-Milch agiert hier mit dem Schicksal von 1200 Menschen mit einer Brachialität, die ich so nicht kenne. Das ist nicht meine Vorstellung von Marktwirtschaft.“

Wie schwer der Blick nach vorne sein kann, ist auch auf den Gesichtern derjenigen abzulesen, die etwa eine halbe Stunde nach Beginn der Betriebsversammlung das Werk durch das Haupttor verlassen. Die meisten sind sprachlos, andere machen ihrem Ärger Luft. „An die Menschen, die hier arbeiten und hier ihr Leben aufgebaut haben, denkt die Konzernleitung nicht“, macht einer seinem Ärger Luft. „Alles Lügen“, rufen einige Männer aus dem Hintergrund. Sie kommen aus der kleinen Tür neben dem Pförtnerhäuschen. Ein Gemisch aus Trauer und Enttäuschung. „Die Stimmung bei der Versammlung war aufgeladen und gedrückt“, so Betriebsratsmitglied Andreas Straede. Uwe Hildebrand von der Gewerkschaft NGG-Osnabrück war auch anwesend - durfte bei der Betriebsversammlung jedoch nichts sagen. Vor den Toren Homanns äußert er sich bestürzt über die Ereignisse, die auch für ihn überraschend kamen. Er und der Betriebsrat hatten gehofft, durch die Tarifverhandlungen Homanns Zukunft in Dissen gesichert zu haben. Nun sei entscheidend, wie es für die Mitarbeiter weitergehe.

Dazu sind bei der Betriebsversammlung offenbar keine konkreten Angaben gemacht worden. Offenbar besteht ein Angebot der Müllergruppe, mit der Firma ins sächsische Leppersdorf umzuziehen. Das kann sich an Dissens Schwarzem Freitag noch niemand so recht vorstellen. „Für mich kommt das nicht infrage“, sagt ein älterer Mitarbeiter. Er hofft auf Altersteilzeit. Inwiefern das überhaupt möglich ist, prüft derzeit der Betriebsrat. „Wir treten nun in Verhandlungen mit der Müller-Gruppe“, sichert auch Hildebrandt die Unterstützung durch die NGG zu.

Uwe Ziemann ging derweil nach eigenen Bekunden mit „hängendem Kopf“ durch die Große Straße. Der Dissener arbeitet seit mehr als 30 Jahren bei dem Feinkostriesen und macht sich Sorgen um seine Stadt: „Was wird jetzt aus Dissen? Erst ist das Krankenhaus zugemacht worden, und jetzt wandert Homann ab. Das ist echt eine dumme Sache.“ Er geht fest davon aus, dass Homann künftig in Leppersdorf produzieren wird. „Ich muss gleich zu Hause erst einmal schauen, wo das überhaupt ist - angeblich ja 500 Kilometer entfernt. Ich glaube kaum, dass vor allem die Kollegen mit Familien dorthin ziehen werden.“

Auch dem Werk in Bad Essen-Lintorf stattete Heiner Kamps am Freitag einen Besuch ab. Den mehr als 200 Beschäftigten im ehemaligen Hamker-Werk überbrachte er ebenso schlechte Nachrichten wie den Dissener Kollegen nur einige Stunden vorher: Auch im Wittlager Land gehen 2020 die Homann-Lichter aus.