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Bestseller aus dem Elbtal

Pro Buch verdienen sie nur ein paar Cent – trotzdem können zwei Meißnerinnen ganz gut vom Schreiben leben. Wie geht das?

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© Claudia Hübschmann

Von Dominique Bielmeier

Unser Bild eines Bestsellerautors sieht meist mehr oder weniger so aus: In einer dunklen Schreibstube, abgeschottet von der Außenwelt, sitzt das schreibende Genie und arbeitet – oft über viele Jahre und mit zunehmendem Haareraufen – an seinem Buch, das er dann, mit viel Glück, bei einem der großen, namhaften Verlage unterbringt, und das dann, mit noch viel mehr Glück und guter Verlagsarbeit, zu einem Verkaufsschlager wird. Die Feuilletons heben selbiges Genie danach in den literarischen Olymp oder zerreißen es – sein Name wird aber in jedem Fall so bekannt wie der Titel dieses Werks; Biografen werden später davon erzählen, wie der Autor sich in den schlimmsten Monaten seines Lebens fast ausschließlich von Erdnüssen ernährte, nur um seinen Traum zu leben.

Johanna Marthens und Beate Boeker sind Bestseller-Autorinnen. Statt in einer dunklen Schreibstube sitzen sie heute im hellen Eiscafé Venezia am Heinrichsplatz in Meißen, vor sich keine mageren Erdnüsse, sondern zwei große Eisbecher. Und auch sonst entsprechen sie dem Autoren-Klischee überhaupt nicht.

Würden sie für ein Buch mehrere Jahre brauchen, wären ihnen in dieser Zeit längst die treuen Fans weggelaufen. Die warten schon sehnsüchtig auf die neuesten Abenteuer der „Bad Boys“, der bösen Jungs von Johanna Marthens, oder wollen von Beate Boeker ins romantische Italien entführt werden. Manche Leser verschlingen eines ihrer Bücher an einem Tag, erzählt Marthens.

Ein Glück, dass sie nicht allzu lange auf das nächste warten müssen: Die gebürtige Meißnerin bringt es pro Jahr auf unglaubliche zehn bis 15 Bücher, ihre Freundin braucht für einen Roman rund neun Monate – aber auch nur, weil sie „nebenher“ noch Vollzeit im Marketing arbeitet.

Beate Boeker, die in Düsseldorf geboren wurde und erst vor Kurzem nach Meißen gezogen ist, verdient so 300 bis 500 Euro im Monat dazu, Johanna Marthens kann vom Schreiben seit drei Jahren sogar ganz leben – „seit einiger Zeit auch sehr gut“. Und das, obwohl beide ihre neuesten Werke oft gerade mal für 99 Cent verkaufen.

Was nach einem Hungerlohn für viele Wochen und Monate Arbeit klingt, kann sich durchaus lohnen – wenn nur die Masse stimmt. Johanna Marthens und Beate Boeker publizieren hauptsächlich elektronische Bücher – E-Books – über Amazon. Dort können sich die Nutzer die Romane einfach auf ihren E-Book-Reader oder ihr Smartphone herunterladen und am Bildschirm lesen. Mehr als 3,99 Euro kostet ein Buch im seltensten Fall. 70 Prozent dieses Preises gehen an die Verfasserin, nach Abzug der Mehrwertsteuer. Wer eine gedruckte Ausgabe möchte, bekommt diese für einen taschenbuchüblichen Preis ebenfalls bei Amazon. Das Zauberwort heißt „Print on demand“, also Druck auf Nachfrage. Und „Nachfrage“ ist auch der Kern des Erfolges der beiden Autorinnen.

„Ich kenne viele Schriftsteller über Facebook, die keinen Fuß auf den Boden kriegen“, erzählt Marthens. Wichtig sei eben, das richtige Genre zu treffen. Ihre Erfolgsformel lautet: Liebe + Sex + Spannung = Erotikthriller. Boeker setzt auf romantische Komödien, die glücklich machen sollen; ihr Ein-Frau-Unternehmen nennt sie deshalb „Happy Books“.

Doch mit dem Genre allein ist es noch nicht getan. „Es reicht nicht, nur irgendwelche Sexszenen aneinanderzureihen“, sagt Boeker. Auch die Qualität muss stimmen. Sonst hätte es Beate Boeker wohl kaum zu einer USA-Today-Bestseller-Autorin gebracht, und Johanna Marthens neuester Bad-Boy-Teil wäre im Mai nicht für mehrere Wochen unter den fünf bestverkauften E-Books Amazons gewesen. Die beiden Frauen wissen durchaus, was sie tun.

Johanna Marthens hat mit dem Schreiben als Drehbuchautorin begonnen. „Aber irgendwann habe ich mich geärgert, dass es immer an etwas scheiterte – entweder am Geld oder am Produzenten.“ Deshalb wandte sie sich Romanen zu, „da habe ich wenigstens die Macht über alles“. Und ihr erster Roman wurde tatsächlich gleich veröffentlicht, damals noch in einem traditionellen Verlag in München. Für diesen schrieb sie als Ghostwriter auch Liebesromane oder Biografien.

Beate Boeker versuchte sich nach dem Betriebswirtschaftsstudium und den ersten Jahren im Beruf am Roman-Debüt – und war damit unzufrieden. Sie wollte lernen, wie man einen guten Roman schreibt, ohne über viele Jahre die Sprache von der Steinzeit an studieren zu müssen, wie es der deutschen Mentalität auf diesem Gebiet entspreche. „Creative Writing“, also Unterricht im kreativen Schreiben, war damals, vor rund 15 Jahren, noch ein Fremdwort in Deutschland. Und so kam die Hobbyautorin zum Internet, das ihr eine ganz neue Welt eröffnete.

In den USA, wo nicht nur Creative Writing, sondern auch der Liebesroman einen ganz anderen Stellenwert hat als in Deutschland, fand Boeker über das Internet eine Lehrerin im Ruhestand, mit der sie sich über das Schreiben austauschen konnte und die ihr viel beibrachte über stilistische Mittel oder auch nur die richtige Kommasetzung im Englischen. Noch heute schreibt Boeker viele Romane auf Englisch und übersetzt sie dann ins Deutsche.

Denn das ist der Haken beim digitalen Veröffentlichen mit Amazon: Um Lektorat, Übersetzung, Covergestaltung und Vermarktung kümmert sich die Plattform nicht, dafür ist der Autor zuständig. Für Marthens und Boeker kommt das zum Schreiben noch dazu. „Man sitzt wirklich mindestens zehn Stunden am Tag da und kümmert sich um alles: die Fans, die Korrekturen, das Layout, Social Media“, sagt Johanna Marthens. „Das ist harte Arbeit und braucht viel Selbstdisziplin“, ergänzt Beate Boeker, die für ein Buch manchmal zwei verschiedene Lektoren bezahlt. Der Lohn für die harte Arbeit: Man kann an seinem Buch schon mal auf Madeira oder auf Malta schreiben. Und sich vor allem selbst verwirklichen.

Als Marthens damals noch traditionellen Verlagen einen Thriller anbot, hagelte es Standardabsagen – teilweise sogar mit einem falschen Namen als Anrede. Nur ein Verlag ließ sich zu der Erklärung herab: Deutsche Thriller, die in Deutschland spielen, funktionieren in Deutschland nicht.

Ein paar Jahre später veröffentlichte Marthens denselben Roman bei Amazon und landete prompt in der Bestsellerliste. Beate Boeker, die Krimis und Romanzen kombiniert, würde im deutschen Buchhandel dafür gar keinen Platz finden – „weil die Buchhändler einfach nicht wissen, in welches Regal sie das Buch dann stellen müssten“. Im Internet funktioniert das alles. „Ohne die Möglichkeiten des Internets wäre ich heute keine veröffentlichte Autorin“, ist sich Boeker sicher.

Dabei ist gerade Amazon nicht unumstritten. Kritiker werfen dem Onlinehandel immer wieder vor, den Buchmarkt und die Verlage zu zerstören. „Es verändert die Branche“, sagt Johanna Marthens, „aber zum Positiven“. Für Leser und Autoren steige das literarische Angebot. Und beide Frauen lesen selbst nicht nur digital, sondern kaufen auch weiterhin gedruckte Bücher – am liebsten in einer richtigen Buchhandlung wie der gegenüber vom Eiscafé Venezia. Bei einem Eisbecher haben sich die beiden Autorinnen vor ein paar Wochen auch zum ersten Mal getroffen. Im Rahmen des Meißner Literaturfestes lernten sie sich kennen, und stellten fest, dass beide auch in der Stadt wohnen. „Normalerweise ist man als Schriftsteller ja ganz schön einsam“, sagt Beate Boeker. Normalerweise.