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Beste Bioware für Coswig

Mit 56 wagte Marlies Tamme den Schritt in die Selbstständigkeit, um nicht arbeitslos zu werden. Leicht hat sie es seitdem nicht.

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© Arvid Müller

Von Peggy Zill

Coswig. Manche haben ihr gesagt, sie sei mutig, andere hätten sie für verrückt erklärt, als sie vor zwei Jahren ihren kleinen Laden eröffnet hat. Mit 56 wagte Marlies Tamme den Schritt in die Selbstständigkeit. Seitdem verkauft sie Bioprodukte in einem kleinen Laden im Hinterhof an der Coswiger Hauptstraße. Die Alternative wäre Arbeitslosigkeit oder wieder nur ein befristeter Arbeitsvertrag gewesen.

„Ich kann nicht Zuhause rumsitzen“, sagt Marlies Tamme. Und bis zur Rente immer und immer wieder von einer befristeten Stelle zur nächsten wechseln wollte die 58-Jährige nicht. „Das macht einen langfristig psychisch kaputt. Man kann keinen Urlaub und keine größeren Anschaffungen planen.“

Nach der Wende hat die studierte Ingenieurökonomin nicht mehr richtig Fuß gefasst auf dem Arbeitsmarkt. Zuletzt war sie Sachbearbeiterin beim Kinderschutzbund. Als die Zeit dort abgelaufen war, habe sie überlegt, was sie machen könnte und auf dem Arbeitsamt die Idee geäußert, sich mit einem eigenen Laden selbstständig zu machen. Ein paar Monate hatte sie noch Zeit zum Überlegen. „Dann ging es eigentlich ganz schnell.“ Sie nahm einen Kredit auf und richtete den Bioladen „Martas Laden“ an der Hauptstraße ein.

Seitdem bleibt ihr nicht mehr viel Freizeit. 67 Stunden arbeitet sie pro Woche. Urlaub hat sie sich bisher nur einmal gegönnt. Jammern will die Neusörnewitzerin trotzdem nicht. „Andere Frauen haben schon andere Sachen gestemmt“, sagt sie. „Die Arbeit macht mir Freude. Und wenn man etwas wirklich gerne macht, macht man es mit Ausdauer.“

Sie habe selbst immer bio gekauft und sich geärgert, dass sie dafür bis nach Meißen fahren muss. Nun bietet sie den Coswigern regionale Produkte und welche mit hohem Biozertifikat wie Demeter an. Die Eier kommen vom Stadtgut Görlitz. Die kosten pro Stück zwar vier Cent mehr, dafür unterstützt man damit die Bruderhahn Initiative, die das Kükenschreddern verhindert. Zu ihren Lieferanten gehören außerdem das Pfarrgut Taubenheim, der Ziegenhof Schubert, der Auenhof bei Leipzig und der Biohof in Mahlitzsch, von denen das Gemüse oder die Milchprodukte kommen. Bei Marlies Tamme gibt es außerdem Produkte mit Biozertifikaten, die in normalen Supermärkten nicht in den Regalen stehen. Denn nicht überall, wo bio draufsteht, ist auch 100 Prozent bio drin, wie die Expertin erklärt.

Der Laden hat sich entwickelt, viele Stammkunden kommen regelmäßig. Obwohl sie es nicht bereut hat, würde Marlies Tamme aber nicht jedem raten, sich selbstständig zu machen. „Man muss schon ein Unternehmertyp sein.“ Auch das Arbeitsamt prüft, ob derjenige dafür geeignet ist und ob das Unternehmen tragfähig ist, bevor es einen Gründungszuschuss gibt. „Die Entscheidung zu einer Existenzgründung ist eine höchst individuelle und nicht zuletzt auch eine weitreichende Entscheidung für die betreffende Person“, sagt Corina Franke, Sprecherin der Arbeitsagentur. Chancen und Risiken müssten ausgelotet werden. Handelt es sich beispielsweise um ein langfristig tragfähiges Konzept? Lässt sich vom erzielten Einkommen ein auskömmliches Leben finanzieren? Sind nur zwei der wichtigsten Fragen, die im Vorfeld geklärt werden müssen. „Deshalb sollten sich Arbeitslose frühzeitig von der Arbeitsagentur beraten lassen. Auch die Kammern bieten Beratung und Existenzgründerveranstaltungen an“, so Franke.

Von den 12 600 Arbeitslosen im Bereich der Arbeitsagentur Riesa sind 44,4 Prozent 50 Jahre oder älter. Die Arbeitslosenquote ist unter den über 55-Jährigen mit 9,1 Prozent am höchsten. Dass es besonders Ältere auf dem Arbeitsmarkt schwerer haben, will Corina Franke nicht bestätigen. Viele Unternehmen hätten das Erfahrungspotenzial erkannt und würden zunehmend ältere Arbeitnehmer einstellen.

„Ältere Arbeitnehmer sind mit ihren Berufs- und Lebenserfahrungen, dem hohen Verantwortungsbewusstsein sowie dem Fachwissen, welches durch lebenslanges Lernen erworben wurde, am Arbeitsmarkt unverzichtbar.“

Viel erlebt hat auch Marlies Tamme. Eine Lebensberatung gibt es auf Wunsch bei jedem Einkauf dazu. Und ab Januar beginnt sie eine Ausbildung zur Gesundheitsberaterin. Das gehöre zum Bioladen dazu.

www.kauf-lokal-sachsen.de