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Besondere Bindung

In seiner Buchbindewerkstatt gibt Ludwig Nowak alten Chroniken und dem Rolling Stone eine Chance auf Ewigkeit.

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© Sven Ellger

Von Nadja Laske

Der Barhocker ist keine Einladung. Er steht da wie ein Ochse im Rosenbeet. Bitte nicht setzen. Das steht nicht drauf. Aber er strahlt es aus. Rings um ihn das Gegenteil von Chrom und Kunstleder: „Mein Verkaufsraum“, sagt Ludwig Nowak und breitet die Arme aus. In massiven Holzregalen drücken sich Bücher aneinander und zeigen ihre farbigen Rücken. Bespannt mit Leinen, Papieren oder Leder. Notizbücher mit blütenweißen Seiten, Kalender für den planvollen Gang durchs Jahr, Fotoalben mit knisterndem Spinnenpapier, Speisekartenhüllen, Diplomarbeiten-Dummys. Ganz groß bis winzig klein. Minibücher liegen im Regal neben papierenen Visitenkartenhüllen. Das sind Ideen von Ludwig Nowak, ein weiterer feiner Nerv im Geschäftssinn des Buchbinders.

Buchbinder Ludwig Nowak im Porträt. Dresden Chronik von 1680.
Buchbinder Ludwig Nowak im Porträt. Dresden Chronik von 1680. © Sven Ellger
Buchbinder Ludwig Nowak im Porträt. Prägestempel.
Buchbinder Ludwig Nowak im Porträt. Prägestempel. © Sven Ellger
Buchbinder Ludwig Nowak im Porträt. Buchanhängsel.
Buchbinder Ludwig Nowak im Porträt. Buchanhängsel. © Sven Ellger

Vor viereinhalb Jahren hat der 33-Jährige die Werkstatt mit krächzender Treppe, alten Doppelfenstern, Stäbchenparkett und bröselnder Wandfarbe übernommen. Inklusive all der Maschinen, die Nowak lieber Apparaturen nennt. Sie vereinfachen einzelne Arbeitsgänge, sind Jahrzehnte alt und haben schon seinen Vorgängern das Handwerk erleichtert. „Kontor“ heißt hier das Büro, wo der Mann mit den Leimspuren auf der blauen Schürze Kundenwünsche anhört, Machbares bespricht, Unmögliches bedauert und ausstellt, was seine Hände alles zuwege bringen. Zeit zum Plaudern würde er sich gern nehmen. Bewegend sind viele Geschichten, die vor allem alte Menschen zusammen mit ihren zerrütteten Büchern vorbeibringen. Doch um im Sessel zu versinken, fehlt dem Meister die Zeit. Der Barhocker muss genügen.

Wenigstens 100 Jahre alt ist diese Werkstatt. Sie schien auf Nowak gewartet zu haben, geduldig, bis er seine Ausbildung absolviert hatte, auf Wanderschaft gegangen, wieder sesshaft und schließlich Meister geworden war. „Ich wollte ein feines Handwerk lernen“, sagt er. Als Junge hatte er Flugzeugmodelle gebastelt. Sein Fingerspitzengefühl wäre auch für einen Beruf gut, dachte er. Und auf die Walz wollte Ludwig Nowak gehen. Das stand fest. Als Tischler oder Zimmerer hätte es sich angeboten, von Stadt zu Stadt zu ziehen und fürs Leben zu lernen. Doch die Gewerke erschienen ihm zu grob.

Buchbinderei gefiel ihm, und er gefiel als Auszubildender in der Buchbindewerkstatt der Sächsischen Landes- und Universitätsbibliothek. Dort lernte er drei Jahre, blieb für weitere anderthalb und packte dann die wenigen Dinge, die ein Geselle auf Wanderschaft braucht. Von Schottland bis zur Türkei ist Nowak gereist, viereinhalb Jahre lang. Nicht immer fand er unterwegs die Arbeit, die er gelernt hatte. Auch auf Baustellen packte er gelegentlich zu. „Dabei habe ich vieles gelernt, was mir heute nützt.“ Doch vor allem wollte der Wanderer wissen, was ihm andere Buchbindemeister mit auf den Weg geben können. Dabei blieb Ludwig Nowak nie länger als drei Monate an einem Ort, so wie es die Regeln der Walz verlangen.

Sie besagen auch, dass ein Geselle mindestens drei Jahre und einen Tag umherreisen und in der Fremde arbeiten muss. Der Dresdner blieb viereinhalb Jahre fort. „Eigentlich wollte ich nicht aufhören“, sagt er. Frei sein und die Welt sehen – ein Sog. Zurückzukehren, nennt Nowak eine reine Vernunftentscheidung. Als 23-Jähriger war er losgezogen. Mit 30 wollte er wissen, wohin er gehört. „Ich habe zunächst bei meinen Eltern gewohnt. Nach drei Wochen ist mir die Decke auf den Kopf gefallen“, erinnert er sich. Die Arbeitsuche führte ihn schließlich in den Hinterhof der Eisenacher Straße 5. Dort ging der damalige Meister dem Ende seines Berufslebens entgegen. In der Stadt kennt Ludwig Nowak keine nennenswerte Werkstatt. Auch rund um Dresden sind Buchbindereien rar. Ein glücklicher Zufall also, dass sein Vorgänger ihm sein Reich verkaufte.

„Ich hatte in der Bibliothek eine sehr gute Ausbildung. Das effektive Arbeiten habe ich aber erst auf der Walz gelernt.“ Nun zahlen sich die zusätzlichen Lehrjahre aus. Seine Arbeitstische zeigen die Buchwerdung in all ihren Etappen. Jahrbücher und Zeitschriftensammlungen wollen Privatleute demnächst gebunden mit nach Hause nehmen. Auch Institutionen bringen ihre Fachblätter vorbei. Ein Stapel Rolling-Stone-Magazine wartet auf einen festen Einband. Viel Mühe und Muße hat Ludwig Nowak gerade eine historische Dresden-Chronik aus Privathand gekostet. Trocken und porös liegt der alte Buchdeckel auf dem Tisch. Das Werk aus dem Jahr 1680 umhüllt nun neues, helles Schweinsleder.

Koch- und Kinderbücher, Bibeln, Märchen, Notensammlungen, ob wertvoll oder nicht – ihren Besitzern sind sie eine Erneuerung wert. Denn in ihnen liegt die Seele der gewesenen Zeit*.

Ludwig Nowak stellt sich am Wochenende im Rahmen der Europäischen Tage des Kunsthandwerkes vor. Zu Führungen durch seine Werkstatt können sich Interessenten unter 3103353 anmelden. Außerdem sucht er einen Lehrling. Bewerbungen sind noch bis zum 1. Mai möglich. *) nach einem Zitat von Thomas Carlyle