Merken

Bescheidener Riese

Im Rittergutspark Tanneberg steht eine Rarität – ein mächtiger Tulpenbaum. Er könnte der höchste Deutschlands sein.

Teilen
Folgen
© Claudia Hübschmann

Von Udo Lemke

Klipphausen. Frank Frenzel ist dabei ihn zu klonen, „um ihn für die ›Nachwelt zu erhalten“. Der Ortsvorsteher von Tanneberg meint den riesigen Tulpenbaum im Rittergutspark, der unmittelbar an sein Haus grenzt. Derzeit ist der Baum über und über mit Blüten besetzt – große Blüten, die an Rosen oder Seerosen erinnern – und trotzdem muss man sehr genau hinschauen, um sie auszumachen, denn ihr rötliches Hellgelb verschmilzt mit dem hellen Grün der Laubblätter. Der Tulpenbaum von Tanneberg ist ein bescheidener Riese, der nicht viel Aufhebens um sich macht, könnte man sagen.

Obwohl ein Riese, ist der Tulpenbaum im Rittergutspark von Tanneberg leicht zu übersehen.
Obwohl ein Riese, ist der Tulpenbaum im Rittergutspark von Tanneberg leicht zu übersehen. © Claudia Hübschmann

„Der Tulpenbaum ist eine Baumart, die aus Nordamerika stammt und in europäischen Parkanlagen wegen der schönen Laubfärbung – tiefgelb – und dem eindrucksvollen Wuchscharakter Verwendung fand.“ Das hatte der Gartenbaumeister des Klosterparks Altzella André Tränkner vor mehr als zehn Jahren geschrieben. Und weiter zum Tanneberger Tulpenbaum: „Das vorhandene Exemplar ist zwischen 150 und 170 Jahre alt und mit seiner Höhe von circa 40 Metern einer der schönsten Vertreter seiner Art in Sachsen.“

Vom Blitz pulverisiert

Was sein Alter betrifft, so laufen ihm Bäume im Schlosspark Pillnitz den Rang ab. „Im Englischen Garten gibt es drei Exemplare, die 1778 gepflanzt worden sind“, erklärt Michael Aehnelt, Gartenfachmann bei der sächsischen Schlösserverwaltung. Allerdings seien die Pillnitzer Tulpenbäume nur um die 25 Meter hoch.

Wie hoch der Tulpenbaum im Schlosspark Rammenau war, ist nicht mehr bekannt. „Er wurde am 30. Juni durch einen Blitzschlag zerstört.“ Er muss um die zweihundert Jahre alt gewesen sein. Genaueres ließ sich nicht mehr bestimmen. Durch den Blitzeinschlag war das Holz zersplittert, „der Baum ist regelrecht explodiert“. Und dann weiß Michael Aehnelt noch, dass es in Pillnitz im Chinesischen Garten eine Neuanpflanzung gibt, „mit einem dort aufgefundenen Sämling“.

Einige wenige Exemplare sind also in Sachsens Gärten und Parks bekannt – aber keines von ihnen kann es in Sachen Höhe mit dem Tannenberger aufnehmen. Mehr noch: In ganz Deutschland reicht kaum ein anderer Vertreter von Liriodendron tulipifera – so der wissenschaftliche Name – an den hiesigen Tulpenbaum heran. Im Internet füttern Baumfreunde eine Seite namens „Monumentale Bäume“ (www.monumentaltrees.com). Dort wird ein Tulpenbaum im Garten der Villa Neuborn in Velbert-Langenberg, nördlich von Wuppertal, aufgeführt. „Der Stammumfang in 1,30 Meter Höhe beträgt 3,93 Meter. Seine Höhe beträgt genau 40,50 Meter“ – gemessen am 12. Februar 2013 mit einem Laser-Messgerät. Das zweithöchste Exemplar ist mit 39,80 Metern ein Tulpenbaum im Schlosspark Heltorf im Düsseldorfer Stadtteil Angermund, der 1799 gepflanzt worden ist. Exakt die gleiche Höhe weist ein um 1810 im Neuen Tiergarten in Kleve, an der deutsch-niederländischen Grenze, gepflanzter Baum auf.

Magnolien sind etwas anderes

Und der Tanneberger Tulpenbaum – wo ist dieser einzuordnen? Eine am Montag vorgenommene Messung mit einer App zur Baumhöhenbestimmung ergab 41 Meter. Damit wäre er die Nummer eins in Deutschland. Allerdings misst ein Laser-Messgerät weitaus genauer als eine App.

Es wäre spannend herauszufinden, wie hoch der Baum exakt ist. Grundsätzlich lässt sich sagen, dass er selbst bei einer unwahrscheinlich großen Messungenauigkeit von fünf Metern mit dann noch 36 Metern immer noch der fünfthöchste Tulpenbaum Deutschlands wäre – genau so hoch wie der im Park auf der Bodensee-Insel Mainau.

Seinen Namen hat der Tulpenbaum sowohl von der Form der Blüten als auch der Blätter, die beide an Tulpen erinnern, erklärt Professor Andreas Roloff, der Leiter des Forstbotanischen Gartens der TU Dresden in Tharandt. „Von vielen Bürgern wird er zu den Magnolien gezählt, was nicht ganz falsch ist – beide gehören zur Familie der Magnoliengewächse.“

Beliebter Exot in Parks

Der Tulpenbaum sei eine nicht heimische Baumart, ein Exot, „das heißt, er ist erst nach 1492, nach der Entdeckung Amerikas durch Kolumbus, nach Europa gekommen.“ Heute komme er aufgrund seiner Schönheit in vielen großen Parkanlagen vor. „Auch hier, im Forstbotanischen Garten, haben wir einen.“

Frank Frenzel aus Tanneberg kennt „seinen“ Tulpenbaum ganz genau: „Der hat ziemlich sprödes Holz, bei jedem Sturm fällt etwas ab, aber er erholt sich immer wieder.“ Er zeigt hinauf auf einen großen Ast, der zur Hälfte abgebrochen ist, aber an seiner Oberseite, zum Licht zu, sprießen schon wieder hellgrüne Zweige. Er weiß, dass der Baum den ganzen Juni über blüht. Und er hat beobachtet, dass es an seinem Fuß wächst. „Jeder Baum merkt, dass es zu Ende geht, deshalb treibt er am Stammfuß aus.“ In diesem Fall ist zu wünschen, dass sich Frank Frenzel irrt.