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Berührendes Gedenken an Naziopfer

111 Behinderte aus dem Epilepsiezentrum Kleinwachau wurden ermordet. Ihr Schicksal ist nicht vergessen.

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© Thorsten Eckert

Jens Fritzsche

Radeberg. Sie einfach vergessen? Nein, diesen Gefallen wollen sie in Kleinwachau den Tätern von damals nicht tun! Den Tätern, die Menschen in Kategorien der Nützlichkeit eingeteilt haben, wie Pfarrerin Elisabeth Roth es gestern beschrieb. Und so sind sie auch am Mittwoch mit dabei, die 111 von den Nazis im Rahmen des teuflischen Euthanasie-Programms ermordeten Bewohner des Epilepsiezentrums Kleinwachau im Radeberger Ortsteil Liegau. Der 27. Januar ist alljährlich der internationale Gedenktag an den Holocaust, die gezielte Vernichtung der Juden – am 27. Januar 1945 war das Vernichtungslager Auschwitz befreit worden.

Das Dresdner Theater „Seniora“ präsentierte die szenische Lesung „Christus von Auschwitz“ nach dem Text einer Auschwitz-Überlebenden.
Das Dresdner Theater „Seniora“ präsentierte die szenische Lesung „Christus von Auschwitz“ nach dem Text einer Auschwitz-Überlebenden. © Thorsten Eckert
Die Namen der Ermordeten sind auf einer Tafel festgehalten.
Die Namen der Ermordeten sind auf einer Tafel festgehalten. © Thorsten Eckert

In Kleinwachau erinnern weiße Luftballons an die 111 Ermordeten. Jeder Luftballon trägt einen Namen – verteilt auf dem gesamten Areal entlang der Wachauer Straße, flattern sie im Wind. Lebendig wirkt das. Als Zeichen: Sie sind unter uns, wir vergessen sie nicht! Und gerade an einem solchen Tag wird die Erinnerung an diesen mörderischen Irrsinn noch ein Stück emotionaler als sonst. Das Ganze rückt auch ein Stück stärker in den Vordergrund; als es in den vergangenen Wochen und Monaten sowieso schon passiert ist. „Denn derzeit beginnen schon wieder Leute, Menschen nach ihrer Nützlichkeit zu sortieren“, mahnte die Kleinwachauer Pfarrerin auch mit Blick auf das Epilepsiezentrum, wo behinderte Menschen betreut werden, Menschen, die anders sind.

Berührendes Theater-Stück

Und so hatte das Epilepsiezentrum am Mittwoch dann auch zu einem ganz besonderen, einem tief berührenden Theater-Stück eingeladen. Im Kleinwacher Kirchsaal las die Dresdner Theatergruppe „Seniora“ aus den Erinnerungen der polnischen Schriftstellerin Zofia Posmysz, die als 20-Jährige wegen der Verteilung von Flugblättern ins KZ Aschwitz-Birkenau gebracht worden war – und hier zunächst das Beten verlernte, wie sie 60 Jahre später in ihrer Geschichte „Christus von Auschwitz“ schrieb. „Ich brachte einfach den Satz nicht über die Lippen: Dein Wille geschehe“, schrieb sie. Und auch Pfarrerin Roth weiß um diese Schwierigkeiten: „Erinnern ist leicht, wenn es darum geht, was Gott Gutes tut – aber es fällt uns schwer, an die furchtbaren Dinge zu denken, die Gott zugelassen hat“.

In der emotionalen, gut einstündigen Lesung erzählen die vier Dresdnerinnen von „Seniora“ die Geschichte eines Silber-Medallions mit einem Christusbild, das ein Mithäftling der damals 20-Jährigen heimlich zugesteckt hatte – und das ihr half, den brutalen, abstumpfenden Alltag im Todeslager mit einem Zauber Leichtigkeit zu überziehen. „Ich sah den Leichenwagen mit den vielen nackten, toten Körpern plötzlich als einen Wagen voller Holzstücke“, heißt es in dem Text, den die Dresdner Schauspielerinnen in berührender Intensität präsentierten. Und während dieser Momente im Kleinwachauer Kirchsaal wurde aus den kalten Fakten die Geschichte eines Menschen. Eines Menschen, der einen Namen hat: Zofia Posmysz. So wie eben auch die 111 ermordeten Kleinwachauer Namen haben. Menschen, die aus Sicht der Nazis aus der Kategorie nützlich herausgefallen waren.