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Beleidigung aus der Sprühdose

Sprayer verschandeln das Neustädter Hofquartier in Dresden. Sogar Anwohner werden bedroht.

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© Sven Ellger

Von Sarah Grundmann

Für Sandra Lin und ihren Mann war es ein Schock: Eines Morgens entdeckten sie das erste Graffiti an ihrer Hauswand. „Yuppies raus“, stand groß und breit an der Fassade. Für das Ehepaar, das mit seinem neun Monate alten Sohn im Hofquartier zwischen Bautzner und Böhmischer Straße wohnt, eine klare Kränkung.

Doch mit einem Schriftzug war es noch nicht vorbei, fast wöchentlich kam ein neuer Spruch, ein sogenannter Tag, dazu. Irgendwann waren alle Wände der 13 schwarz-weißen Stadtvillen beschmiert, die erst Anfang des Jahres fertig geworden waren. „Yuppies go Home“, „Wir wollen keine Yuppieschweine“, „Mieten runter“, „Die Neustadt bleibt dreckig“ und sogar latente Drohungen wie „Yuppies jagen“ sind nicht nur ein Angriff auf die moderne Baukunst und die scheinbare Exklusivität der Häuser. Die Bezeichnung Yuppies fassen die Anwohner als Beleidigung auf. Doch sind sie das überhaupt? Neureiche?

Nein. Das findet zumindest Sandra Lin. „Die Täter unterstellen hier einfach etwas, ohne die Bewohner überhaupt zu kennen“, sagt sie. Die junge Frau ist in Gorbitz geboren und aufgewachsen. Sie hat in Dresden Wirtschaftsingenieurwesen studiert und arbeitet nun in einer Personalabteilung. Derzeit befindet sie sich allerdings in Elternzeit. Ihr Mann arbeitet als IT-Berater. Solide Jobs, wie sie findet. Denn besonders teuer sei es zwischen Bautzner und Böhmischer Straße nicht. „Unsere vorige Wohnung war zwar etwas günstiger. Aber so ist nun einmal die Entwicklung in der Stadt“, sagt Lin. Zwischen 8,50 und 10 Euro müssen die Mieter pro Quadratmeter auf den Tisch legen. Wie Hofquartier-Verwalter Christian Chemnitzer sagt, sei Familie Lin ein Paradebeispiel für die Mieter in den Neubauten: Etwa die Hälfte seien Familien aus dem Mittelstand, die schon länger in der Neustadt verhaftet sind. Die anderen sind neu nach Dresden gezogen und wollen den Stadtteil testen.

Gerade über Sätze wie „die echte Neustadt muss dreckig bleiben“ wundert sich die Sandra Lin sehr: „Ich frage mich, wo diese Leute wohnen? Leben die im Dreck?“ Schließlich gebe es in der Neustadt gar nicht mehr so viele heruntergekommene Gebäude. „Es ist viel saniert und renoviert worden. Die Neustadt entwickelt sich, und das ist doch auch gut.“ Die junge Mutter spricht aus Erfahrung: Nicht nur, dass sie in Dresden geboren ist, sie lebt nun bereits seit 2011 in der Neustadt. „Mein Mann und ich sind vor allem wegen der toleranten Bewohner in das Viertel gekommen“, sagt sie. Denn obwohl auch er in Deutschland geboren und aufgewachsen ist, fällt seine chinesische Abstammung auf. Dass die Familie nun aus anderen Gründen direkt vor der Haustür angegriffen wird, findet Sandra Lin erschreckend. Die latente Drohung beunruhigt sie. Dennoch fühlt sie sich noch wohl in ihrer Wohnung. Andere Mieter haben scheinbar mehr Angst. Zu einem Gespräch mit der Sächsischen Zeitung waren sie nicht bereit.

„Für leer stehende Wohnungen im Erdgeschoss bekomme ich Absagen, weil es den Leuten zu unsicher ist“, sagt auch der Verwalter. Denn bei Besichtigungen machen die Schmierereien nicht gerade einen guten Eindruck. Am Hofquartier wird nicht nur zur Sprühdose gegriffen, auch Briefkästen wurden aufgebrochen, die Linsen einiger Videosprechanlagen beschädigt und Mülltonnen angezündet. „Fast wöchentlich kommt etwas dazu“, so Chemnitzer. Mit dem Entfernen kommt der Verwalter nicht mehr hinterher, auch finanziell ist viel zu stemmen. „Allein der Schaden durch Graffiti liegt schätzungsweise bei 1 000 Euro“, so Chemnitzer.

Ganze 40 000 Euro mussten schon einmal hingeblättert werden, als noch im vergangenen Jahr ein Farbeimer vom Parkdach des angrenzenden Rewe auf die Häuser geworfen wurde. „Das ist doch pure Bösartigkeit“, sagt der Verwalter. „Wir haben hier doch niemanden verdrängt, sondern eine Brachfläche bebaut.“ Ob die Aktionen der Vandalen auch ein Protest gegen den verschwundenen Lustgarten sein könnten, wagt er nicht zu beurteilen. Chemnitzer ist mit seinem Latein am Ende. Denn Videokameras darf er im öffentlichen Raum nicht installieren.

Bei der Polizei habe er zwar jedes Mal Anzeige erstattet, die werde seiner Meinung nach aber kaum aktiv. Auf SZ-Anfrage teilt die Polizei mit, dass sie zwar wegen Sachbeschädigung ermittelt, es aber noch keine konkrete Spur gebe. Das Hofquartier sehen die Beamten nicht als Schwerpunkt für linksmotivierte Graffiti, vermehrt Streife werden sie dort deshalb nicht laufen.

Am Freitag lesen Sie in der Sächsischen Zeitung, welche Bauprojekte noch ins Visier von Sprühern geraten sind.