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Bei den Kindern von Palu

Ein Feuerwehrmann aus dem Rödertal ist nach dem Erdbeben nach Indonesien gereist. Sein Team leistet psychische Hilfe.

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Von Reiner Hanke

Sulawesi / Liegau. Gleich nach dem 24-Stunden-Dienst bei der Dresdner Berufsfeuerwehr ging es für Matthias Kelm aus dem Radeberger Ortsteil Liegau per ICE nach Frankfurt am Main. Und von dort über Katar Richtung Indonesien. Die furchtbaren Bilder von der Insel Sulawesi hatte er da längst im Kopf. Matthias Kelm gehört zu einem 14-köpfigen Team von Notfallpädagogen und -therapeuten.

Seine Kenntnisse als Rettungsassistent kommen dem Sachsen bei seinen Einsätzen entgegen.
Seine Kenntnisse als Rettungsassistent kommen dem Sachsen bei seinen Einsätzen entgegen. © privat

Das hat der Verein der Freunde der Erziehungskunst aus Karlsruhe zusammengestellt. Erdbeben und ein Tsunami verwüsteten vor rund zwei Wochen ganze Landstriche auf der Insel Sulawesi. Die Helfer des Notfallpädagogik-Teams sind jetzt ins 11 000 Kilometer entfernte Palu gereist, ins Epizentrum der Katastrophe, „um die Menschen bei der Verarbeitung ihrer traumatisierenden Erlebnisse zu unterstützen“, erklärt Vereinssprecherin Bonnie Berendes. Mit dabei sind unter anderem Heilpädagogen, Kunsttherapeuten, eine Ärztin und eben auch Rettungsassistent Matthias Kelm. Der Feuerwehrmann aus dem Rödertal ist bereits zum dritten Mal als Helfer an Brennpunkten unterwegs, war bereits 2016 in Haiti und im Vorjahr in Mexiko.

Unterkünfte sind rar

Nach einem anstrengenden Tag ist auf Sulawesi die Sonne längst untergegangen – jetzt hat Matthias Kelm etwas Zeit für ein Telefonat. In Deutschland ist Mittagszeit. Im Quartier der Helfer springt nach einem Stromausfall gerade der Kühlschrank wieder an und der Radeberger freut sich schon auf eine erfrischende Cola. Bei 34°C und extremer Luftfeuchte klebe die Bekleidung am Körper. Unterkünfte sind rar. Eine Familie habe die Helfer herzlich aufgenommen und unterstütze sie auch vor Ort. Aber die Helfer wohnen dennoch draußen unter Planen und in Zelten. Wegen der Nachbeben sei es drin zu gefährlich. Immer wieder bebe die Erde: „Du kommst nicht zur Ruhe. Das sind Schläge, es ist unvorstellbar. Matthias Kelm sei froh, „dass es in Deutschland solche extremen Katastrophen nicht gebe: „Wenn ich von solchen Einsätzen zurückkomme, bin ich dankbar, wie gut es uns daheim geht.“

Der Helfer beschreibt die Situation. Teile der Stadt seien großflächig zerstört. Der Boden habe sich in einigen Gebieten quasi verflüssigt und etwa 1 000 Häuser regelrecht verschluckt. Mehrere 1 000 Menschen seien in die Tiefe gerissen worden. Für sie gab es keine Rettung. Die Strandpromenade sei quasi verschwunden. Dort hatte der Familienvater ein Café und sei selbst nur knapp dem Tod entronnen. Retter gruben ihn aus dem Sand. Die Familie stehe jetzt vor dem Nichts. Über Teilen der Stadt liege ein furchtbarer Gestank. Wegen der sanitären Situation. Aber auch wegen der Leichen, die noch nicht geborgen werden konnten. Zum Beispiel in einer zerstörten Einkaufspassage. Es gebe riesige Zeltkrankenhäuser, da liegen die Verletzen Bett an Bett. Das Leid vieler Menschen sei unbeschreiblich.

Feuerwehr-Kameraden unterstützen ihn

Durch einen Dresdner Notarzt, mit dem er bei Rettungseinsätzen unterwegs war, sei er zu den Hilfsmissionen gekommen, berichtet Matthias Kelm. Der Verein habe jetzt wieder bei dem 40-Jährigen angefragt, ob er dabei sein könne. Die Feuerwehr-Kameraden hätten ihn sofort unterstützt und seien im Dienstplan eingesprungen. Seine Hauptaufgabe ist es, gemeinsam mit einem Mitstreiter dem Helferteam, den Rücken für die Arbeit freizuhalten. Die beiden sorgen für die Logistik, für Verpflegung, Wasservorräte, für Nahrungsmittel. Das alles zu besorgen, brauche es viel Organisationstalent. Stundenlang sei er oft auf Umwegen unterwegs. Viele Straßen seien blockiert. Nicht nur wegen der Trümmer. Risse und meterhohe Verwerfungen machen die Durchfahrt unmöglich. „Aber das Geschäftsleben kommt langsam wieder in Gang“, sagt Matthias Kelm.

Er selbst helfe durch seine Erfahrung als Krankenpfleger und Sanitäter auch bei medizinischen Notfällen. Das steht aber nicht im Zentrum. Für die medizinische Versorgung von Opfern und technische Hilfe sorgen etliche andere ausländische Organisationen. Die psychische Hilfe sei aber kaum vorhanden. Sein Team kümmere sich darum. Dabei konzentrieren sich die Helfer auf Kinder und Jugendliche, die Unterstützung brauchen. Viele haben traumatische Erlebnisse zu verkraften. Manche verloren Eltern und Angehörige.

Kinder sind erstarrt

Maltherapie gehört dazu, Spiele, Gesang, Tanz. Auch mit Instrumenten arbeitet das Team. Mehrfach waren die Pädagogen und Therapeuten jetzt in einer Schule und arbeiteten mit 465 Kindern: „Wir versuchen den Mädchen und Jungen wieder in einen geordneten Lebensrhythmus zu bringen und das Erlebte zu verarbeiten und Folgestörungen zu verhindern.“ Er treffe Kinder, die regelrecht in sich erstarrt seien, nicht in der Lage sind zu sprechen, völlig verunsichert. Mit der Umgebung sei ihr Weltbild zusammengebrochen. „Wir wollen die Kinder aus der Erstarrung lösen.“ Außerdem würden die Helfer mit Lehrern und Eltern arbeiten, wie sie mit den Folgen der Tragödie umgehen und selbst das Trauma, ihre Verzweiflung überwinden können. „Wir leisten Erste Hilfe für die Seele, sie muss atmen können.“

Besonders berührte Kelm die Dankbarkeit der Menschen in den Katastrophengebieten: „Sie drücken unsere Hände, sind einfach nur froh.“ Er sehe das an den Reaktionen der Kinder und Eltern, an der Liebe, die sie den Helfern entgegenbringen. Es ist eine wundervolle und befriedigende Arbeit.“ Das sei auch ein Grund, weshalb er sich dafür entschieden habe und auch die Strapazen gern in Kauf nehme. Er habe viel Not und Leid gesehen, aber auch viele tolle Menschen kennengelernt, und die Sorgen daheim erscheinen plötzlich klein. Ende der kommenden Woche tritt Matthias Kelm wieder den Dienst bei der Dresdner Feuerwehr an. Vor allem auf seine Familie, die Frau und seine Jungs, freut er sich.