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Bei Anruf Diagnose

Der Deutsche Ärztetag lockerte jetzt das Verbot von Behandlungen aus der Ferne. Hiesige Mediziner sehen das kritisch.

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© Anne Hübschmann

Von Catharina Karlshaus

Landkreis. In Ulm, Ravensburg oder Pforzheim kann die Welt am Montagmorgen in allerbester Ordnung sein. Wenn sich die schniefenden, hustenden und prustenden Bewohner aus anderen Bundesländern um halb acht zum langjährigen Hausarzt quälen, dürfen sich zumindest die privat versicherten Baden-Württemberger noch mal beruhigt im Krankenbett rumdrehen. Ein Anruf beim Mediziner ihres Vertrauens zwei Stunden später tut es schließlich auch! Kurz den ganzen Schlamassel mit laufender Nase und kratzendem Hals der Fachfrau am Telefon beschrieben – und schon kommt das notwendige Rezept danach bequem per Mail zum Ausdrucken. Was in sächsischen Landen geradezu unglaublich klingen mag, ist Ärzten seit 1. Januar tatsächlich in Baden-Württemberg im Rahmen eines Pilotprojekts erlaubt. Selbst wenn sie die Betroffenen – mittlerweile hat auch ein Testlauf für gesetzlich Versicherte in Stuttgart und Tuttlingen begonnen – noch nie zuvor gesehen haben, dürfen sie ihre Patienten telefonisch oder online behandeln.

Und stehen damit seit vergangener Woche nicht mehr allein. Der Deutsche Ärztetag in Erfurt machte in der vergangenen Woche den Weg frei für die sogenannte digitale Fernbehandlung. Mediziner in Deutschland dürfen Patienten künftig auch ohne vorherigen persönlichen Kontakt in der Praxis ausschließlich per Telefon, SMS, E-Mail oder Online-Chat behandeln. Voraussetzung ist allerdings, dass die Mediziner die ärztliche Sorgfalt bei Diagnostik, Beratung, Therapie und Dokumentation gewährleisten und ihre Patienten über die Online-Behandlung aufklären.

Eine Neuregelung – sie muss noch von allen 17 Landesärztekammern in die Berufsordnungen übernommen werden – welche keineswegs für Ausbrüche der Freude sorgt. Ein Allgemeinmediziner, der seinen Namen nicht in der Zeitung lesen will, äußert sich skeptisch. Wie er betont, wisse er schon jetzt nicht, wie in grippalen Stoßzeiten alle Schützlinge in einer vertretbaren Wartezeit behandelt werden sollen. All jene, die bei ihm vorstellig würden, hätten aber das Recht darauf, dass er sich nicht im Eilverfahren der Untersuchung widme. Schließlich ginge es dabei immer um Leib und Leben. Und genau diesen Körper wolle der erfahrene Mediziner vor sich haben, bevor er eine Diagnose treffe. Diese lediglich am Telefon zu stellen, könne sich der Arzt nicht vorstellen.

Und ist mit dieser Auffassung längst nicht allein. Dr. Franziska Rothert betrachtet die Entscheidung ebenso kritisch. Laut der seit einem Jahr in Großenhain praktizierenden Gynäkologin betrete man damit einen schwierigen Pfad. Immerhin sei die Ausübung des ärztlichen Berufes bisher stets an den unmittelbaren Kontakt mit dem Patienten gekoppelt gewesen. Genau das sei im Studium und der praktischen Ausbildung stets vermittelt worden. Und daran finde sie auch jetzt noch nichts falsch. Daher könnten sich ihre Patientinnen bei Beschwerden in der Praxis melden und gemeinsam werde dann über den weiteren Verfahrensweg beraten beziehungsweise ein Termin gefunden. Oder die Frauen kämen eben gleich vorbei. Von einer Diagnose am Telefon halte Franziska Rothert nichts. „Nach meiner Erfahrung kann man sich auch nicht einhundertprozentig auf die Beschreibung von Symptomen durch die Patienten verlassen. Die Wahrnehmung ist verständlicherweise subjektiv gefärbt“, weiß Franziska Rothert. Insofern habe sie die Frauen lieber persönlich bei sich in der Sprechstunde. In deren Interesse und ihrem eigenen. Immerhin seien jede ihrer Entscheidungen rechtlich relevant.

Den direkten Kontakt mit ihren Patienten schätzt auch Uta Blome-Hennig. Die Fachärztin für psychosomatische Medizin und Psychotherapie kann sich nach eigenem Bekunden nicht vorstellen, Diagnosen am Telefon zu stellen. Für die Koordination einer Behandlung oder Terminabsprachen könne das sicherlich der richtige Weg sein. Auch in Akutsituationen wäre das Netz der bereits vorhandenen Krisen- und Interventionsdienste oder die Telefon-Seelsorge ein hilfreicher Anlaufpunkt. „Aber in meiner Großenhainer Praxis arbeite ich tiefenpsychologisch orientiert. Da ist eine enge, vertrauensvolle Beziehung zwischen dem Patienten und mir als Therapeutin unverzichtbar“, erklärt Uta Blome-Hennig.

Ausschließlich Baden-Württemberger Verhältnisse wird es im Landkreis ohnehin nicht geben. Auch wenn der Präsident der sächsischen Landesärztekammer, Erik Bodendieck, die Aufhebung des ausschließlichen Fernbehandlungsverbotes begrüßt. „Wir beobachten seit langer Zeit einen Trend hin zur Inanspruchnahme von internetbasierten Gesundheitsinformationen überwiegend jüngerer Generationen“, sagt Erik Bodendieck. Vielfache Untersuchungen hätten aber gezeigt, dass die Informationen im Netz deutliche Qualitätsmängel aufweisen. Umso besser sei es, dass Ärzte ihre Patienten bald online direkt beraten könnten. Wohl wissend, dass dies aufgrund der Beschränkung der Kommunikationsmedien nie vollumfänglich möglich sein werde. Schon deshalb werde es in überwiegender Zahl auch weiterhin einen direkten Kontakt zwischen Arzt und Patienten geben.