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Behandlung heute unentgeltlich

Seit voriger Woche arbeitet der niedergelassene Orthopäde Carsten Pfeifer ohne Bezahlung. Er ist nicht der Einzige.

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© Uwe Soeder

Von Jana Ulbrich

Bautzen. Es wird heute wohl wieder ein langer Vormittag werden: 48 Patienten sitzen an diesem Montag schon seit dem frühen Morgen im Wartezimmer. Sie sind alle zur Akutsprechstunde gekommen, für die Carsten Pfeifer keine Termine vergibt. Zur Akutsprechstunde kann kommen, wer akute Schmerzen hat und damit nicht wochenlang warten kann. Wen, fragt Dr. Pfeifer, soll ich denn da wegschicken?

Im Grunde könnte der Orthopäde und Sportmediziner aus Bautzen sie an diesem Montag alle nach Hause schicken. Er könnte ein Schild an seine Praxistür hängen: „Fallzahlen erfüllt! Bis zum Quartalsende geschlossen!“ Und dann könnte er sich bis zum Monatsende ganz seinen Kindern und seinen Hobbys widmen. Aber so etwas tut ein Mediziner nicht. Stattdessen arbeitet Dr. Carsten Pfeifer jetzt seit voriger Woche bis zum Ende des Quartals unentgeltlich.

Das passiert dem niedergelassenen Facharzt nicht zum ersten Mal. Und er ist längst nicht der Einzige, dem das immer wieder passiert. Carsten Pfeifer muss aufpassen, dass er nicht wütend wird, wenn er das erklärt. Die 48 Patienten, die jetzt in seinem Wartezimmer sitzen, können ja nichts dafür, dass in diesem Quartal schon 1 750 Menschen vor ihnen da waren.

1 750 – das ist die Fallzahl, die die Kassenärztliche Vereinigung (KV) in Sachsen als Budget für die Bautzener Orthopädiepraxis festgelegt hat. So viele Behandlungen kann der Facharzt am Quartalsende bei den Kassen abrechnen. Für die Behandlung weiterer Patienten steht dann kein Geld mehr zur Verfügung. Die Ärzte müssen zwar weiter arbeiten, werden dafür aber nicht weiter bezahlt.

Ursache liegt bei Krankenkassen

Bei der Kassenärztlichen Vereinigung weiß man um das Problem. „Der Kollege ist kein Einzelfall“, bestätigt KV-Sprecher Ingo Mohn. Er sieht die Ursache des Problems in erster Linie bei den Krankenkassen: Diese würden für einen Großteil der ärztlichen Leistungen nur ein bestimmtes Budget zur Verfügung stellen. Das aber würde nicht ausreichen, alle Leistungen der niedergelassenen Ärzte in vollem Umfang zu vergüten, erklärt Mohn. Die KV sei deswegen gezwungen, „leistungssteuernde Maßnahmen“ zu ergreifen. Die würden aber letztlich dazu führen, dass nicht mehr alle von den Ärzten erbrachten Leistungen voll bezahlt werden können. Deshalb staffelt die KV die Vergütung in allen Facharztgruppen nach Durchschnittswerten. „Es ist aber keineswegs so, dass gar nicht vergütet wird, sondern gekürzt“, versichert Ingo Mohn.

Praxis geht an Wirklichkeit vorbei

Carsten Pfeifer kann über diese Vergütungspraxis nur den Kopf schütteln. „Das geht doch an der Wirklichkeit voll vorbei“, sagt der 53-Jährige. So sieht er in der Art und Weise der Bezahlung auch den Hauptgrund für unnötige Behandlungen und Operationen. „Weil die Kassen sparen wollen, wird es für sie am Ende viel teurer“, ist der Facharzt überzeugt.

Als Beispiel nennt er die wachsende Zahl an ambulanten Operationen. „Für einen Patienten in meiner Sprechstunde bekomme ich eine einmalige Fallpauschale von 30 bis 40 Euro im Quartal, egal ob ich ihn einmal oder dreimal sehe“, erklärt er. Das Einsetzen einer Knieprothese hingegen bringe 7 000 bis 10 000 Euro. In anderen Fachgruppen wie bei Haut- oder Augenärzten seien die Fallpauschalen noch niedriger. „Da ist doch etwas am System falsch“, sagt Carsten Pfeifer. Hinsichtlich seiner unentgeltlichen Mehrarbeit, die er nun noch bis Ende März leisten wird, kann er wenigstens darauf hoffen, dass ihm die Kassenärztliche Vereinigung eine höhere Patientenzahl anerkennt und die Fallzahl für die nächsten Quartale erhöht. Auch Fachärzte, die in einer Region mit Unterversorgung oder drohender Unterversorgung arbeiten, könnten bei Bedarf eine Anhebung des Mengenbudgets beantragen.

Zusammenarbeit spart Kosten

Gemeinsam mit 22 niedergelassenen Haus- und Fachärzten aus der ganzen Region hat Carsten Pfeifer im vergangenen Sommer das Ärzte-Netz Ostsachsen gegründet. Es gehe vor allem um ein unkompliziertes und kollegiales Miteinander der Kollegen, erklärt er. Es gehe um effizientere und qualitativ bessere Ergebnisse bei Diagnosen und Therapien, es gehe um ärztliche Zweitmeinungen und um eine bessere Abstimmung und Kommunikation der niedergelassenen Ärzte in der Region. „Kooperation statt Konkurrenz“ haben sich die beteiligten Ärzte auf die Fahnen geschrieben. „Wenn wir zusammenarbeiten, spart das den Kassen Kosten“, ist Dr. Pfeifer überzeugt. „Vielleicht können wir dann ja auch bald mal voll für das bezahlt werden, was wir leisten.“