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Bedrohte Friedhöfe

Dresdner gedenken am Totensonntag den Verstorbenen. Doch neue Entwicklungen bescheren den Verwaltern Probleme.

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© Sven Ellger

Von Nora Domschke und Christoph Springer

Der St. Pauli Friedhof ist gut besucht an diesem Sonntagmorgen. Es ist Totensonntag – viele Menschen nutzen ihn, um die Grabstellen ihrer Familienangehörigen aufzusuchen, eine Kerze anzuzünden, die Erde mit immergrünen Zweigen abzudecken. Auch Sonja Brückner ist gekommen, um zu gedenken. Der Sohn ihres mittlerweile ebenfalls verstorbenen Lebensgefährten ist auf dem St. Pauli Friedhof begraben. Zwei- bis dreimal im Jahr kommt die Rentnerin aus ihrem Striesener Wohnviertel in den Dresdner Norden. Für die 77-Jährige ist die Anlage an der Hechtstraße mehr als nur ein Ort des Erinnerns. „Hier kann ich auch meine Trauer verarbeiten.“

Zwei Söhne hat die Dresdnerin in den vergangenen Jahren an den Krebs verloren. Schicksalsschläge, die Sonja Brückner besser bewältigen konnte, weil sie die Gräber besuchen, sie bepflanzen und dabei an ihre Söhne denken kann. Zudem genießt sie die Ruhe, geht oft einfach nur spazieren, schaut sich die anderen Grabsteine an. Immer mit dem Gedanken daran, dass auch ihre Zeit einmal kommen wird.

Grab im Wald als neuer Trend

Dafür hat die Rentnerin schon jetzt vorgesorgt. „Meine Enkelin kümmert sich um alles“, sagt sie. Sonja Brückner will im Grab ihrer Eltern auf dem Johannisfriedhof in Tolkewitz beerdigt werden. 4 000 Euro hat sie für ihre Bestattung schon beiseite gelegt. „Und da ist nicht einmal eine Trauerfeier eingeplant.“

Sterben ist eine kostspielige Angelegenheit. Vielleicht entscheiden sich auch deshalb immer mehr Menschen für ihre letzte Ruhestätte in einem Urnengemeinschaftsgrab. Immerhin 20 Prozent der Verstorbenen in Dresden werden auf diese Weise beerdigt. 42 Prozent der Urnenbeisetzungen finden in einem Einzel- oder Familiengrab statt. Erheblich abgenommen haben die Erdbestattungen, die noch rund elf Prozent ausmachen. Zwar stieg die Zahl der Toten in den vergangenen Jahren – derzeit sind es pro Jahr durchschnittlich 5 700 in Dresden. Dennoch kämpfen die Friedhöfe mit Problemen: die Zunahme an Urnenbestattungen, große Flächen, die früher einmal für Erdbestattungen vorgesehen waren und nun trotzdem bewirtschaftet werden müssen. Dazu kommen geringere finanzielle Mittel sowie die steigenden Ansprüche der Friedhofsnutzer, die immer weniger bereit sind, sich an den Kosten zu beteiligen.

Das hat Folgen: Neun der 58 Dresdner Fried- und Kirchhöfe sind heute für Beisetzungen geschlossen. Seit Anfang dieses Jahres dürfen auch auf dem St. Pauli Friedhof nur noch Angehörige der dort Begrabenen beerdigt werden. Eine neue Entwicklung – die sogenannten Bestattungswälder – wird die Probleme auf Dresdner Friedhöfen noch verschärfen, schätzt Holger Enke ein. Als Referent für Friedhofsangelegenheiten bei der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Sachsen hat er sich mit dem Wandel in der Bestattungskultur beschäftigt. „Die Nachfrage für Grabflächen auf Friedhöfen wird durch die Bestattungswälder noch weiter sinken.“ Der Dresden am nächsten gelegene befindet sich in Coswig. Im Friedewald werden die Urnen im Wurzelbereich von eigens dafür vorgesehenen Bäumen, meistens Eichen oder Buchen, beigesetzt. Einen Gedenkstein gibt es allerdings nicht. Diese Grabform ist in Sachsen seit 2009 zugelassen. Damals wurde das Bestattungsgesetz gelockert. Für viele Menschen hat sie – ebenso wie andere Gemeinschaftsgräber – einen entscheidenden Vorteil: Die Pflege des Grabes entfällt. Wie aufwendig diese ist, weiß Sonja Brückner nur zu gut. „Wenn es im Sommer sehr heiß ist, bin ich alle drei, vier Tage auf dem Friedhof, um die Blumen zu gießen.“ Sie könnte die Pflege auch den Friedhofsgärtnern überlassen. „Das kann ich mir aber nicht leisten.“ Trotz des Aufwandes hofft die Rentnerin, dass sich ihre Familie später auch so liebevoll um ihr Grab kümmern wird.