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Das Bahnsystem CargoBeamer könnte Millionen Tonnen Fracht von Autobahnen auf die Schiene holen. Doch die Branche reagiert zurückhaltend.

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© Thomas Kretschel

Von Sven Heitkamp

Sachte wie von Geisterhand gleitet der tonnenschwere Lkw-Anhänger aus den Schienen seitlich auf die Betonpiste. Nur wenige Minuten dauert es, bis aus dem Eisenbahnwaggon ein normaler Lkw-Trailer für die Straße wird. Dann rollt eine Zugmaschine heran und fährt mit dem Hänger davon. Die scheinbar simple, aber jahrelang ausgeklügelte Technik kann man auf einem der ältesten deutschen Bahngelände in Leipzig-Engelsdorf beobachten. Ihr Name: CargoBeamer. Ihre Mission: Die völlig überfüllten Autobahnen Europas von endlosen Brummi-Staus entlasten. Die kleine private Firmenentwicklung aus Sachsen scheint in der Lage, dieses kleine Wunder zu vollbringen und jährlich Abermillionen Tonnen Fracht auf die Schiene zu bringen. Doch noch hält sich die Branche beim Einstieg in die Technologie zurück.

Das System ist scheinbar simpel, aber jahrelang ausgeklügelt.
Das System ist scheinbar simpel, aber jahrelang ausgeklügelt. © Thomas Kretschel
Das System ist scheinbar simpel, aber jahrelang ausgeklügelt.
Das System ist scheinbar simpel, aber jahrelang ausgeklügelt. © Thomas Kretschel

Während Container auf der ganzen Welt standardisiert verladen und verfrachtet werden, ist das bei Lkw-Anhängern mit Planen und Tanks, Kippmulden und Kühl-Aggregaten nicht so leicht. Sie gelten als nicht kranbar, können also nicht einfach zwischen Laster, Zug und Schiff hin und her wechseln – aber sie machen die Mehrheit im Güterverkehr auf der Straße aus. „Drei Viertel aller Güterverkehre auf der Straße werden mit nicht kranbaren Sattelaufliegern gefahren“, sagt Hans-Jürgen Weidemann, Mitbegründer und Vorstandschef beim CargoBeamer. „Für diese Mehrheit der Lkws haben wir unser umweltfreundliches und energiesparendes System entwickelt.“

An der Verladestation werden die Trailer von einer Zugmaschine in eine riesige Stahlwanne gefahren, die vorn und hinten offen ist. Die mit dem Laster beladene Wanne wird seitlich auf die Schiene gezogen und mit Zug-Drehgestellen zu einem Waggon verbunden. Klappbare Seitenwände sichern die Fracht zusätzlich ab. „Alle normalen Sattelauflieger können den CargoBeamer ohne Umbauten nutzen“, betont Weidemann. Weiterer Vorteil: „Die Umschlaganlagen sind deutlich kleiner, kostengünstiger und schneller als Terminals mit Containerkranen“, sagt Weidemann. Einen kompletten Zug könne man in 15 Minuten vollautomatisch parallel Be- und Entladen. Brachliegende Gleisanlagen könnten dafür mit geringem Aufwand als Umschlag-Knotenpunkte wiederbelebt werden.

Dass das System funktioniert, beweist CargoBeamer auf einer 900 Kilometer langen Strecke zwischen Kaldenkirchen bei Venlo an der deutsch-niederländischen Grenze ins norditalienische Domodossola kurz hinter der Schweizer Grenze: Auf sechs Hin- und sechs Rückfahrten pro Woche werden auf jedem Zug durchschnittlich 30 Sattelauflieger gefahren. „Wir bringen jeden Tag mehr als 2000 Tonnen Ladung über die Alpen und transportieren mehr als 1000 Lkws pro Monat“, rechnet Weidemann vor.

Die Idee des CargoBeamers verfolgt Weidemann schon seit 20 Jahren. Dabei war er nur durch Zufall auf diese Marktlücke gestoßen. Der gebürtige Lübecker hatte in München Maschinenbau studiert, promoviert und sich im Fach Mechanik habilitiert. Doch statt in die Forschung zog es den jungen Wissenschaftler in die Praxis: Er arbeitete für den Schweizer Technologiekonzern ABB. Dort musste Weidemann ein anderes Bahn-Transportsystem für Güter begutachten, das er allerdings für unausgereift hielt. Doch der Grundgedanke ließ ihn nicht mehr los. Mit einem Kollegen verfolgte der heute 55-Jährige die Idee zunächst nebenberuflich weiter. Anfang der 2000er-Jahre kauften die Pioniere ihr Patent aus der ABB heraus und gründeten 2003 ihre Firma CargoBeamer – damals noch in Bautzen.

Es war der frühere sächsische Wirtschaftsminister Kajo Schommer, der die Güterbahn-Tüftler nach Sachsen holte. Während die Rollende Landstraße „RoLa“ zwischen Dresden und Lovosice ab 2003 aufs Abstellgleis geriet, kamen Schommer und Weidemann in Kontakt. „Kajo Schommer hat eine Menge für uns getan“, erzählt Weidemann. So erhielt das junge Unternehmen Unterstützung aus einem Technologieförderprogramm und wurde Mitglied im Innovationszentrum Bahntechnik Europa in Dresden – eine wichtige Drehscheibe für Bahn-Kooperationen. Seit Ende 2007 beteiligen sich mehrere private Investoren mit etlichen Millionen Euro. Mit Erfolg: 2009 erlebte der erste CargoBeamer-Waggon sein Rollout. 2010 zog das Unternehmen nach Leipzig-Engelsdorf und baute dort den Prototypen eines automatischen Terminals. Seit 2013 laufen die ersten Pilotprojekte mit verschiedenen Partnern. So hat VW die Technik mit Transporten aus Frankreich und Spanien und Umschlaganlagen in Wolfsburg getestet. DB Cargo mietet CargoBeamer-Waggons für Fahrten aus Ungarn nach Braunschweig.

Heute hat das Unternehmen ein Dutzend Beschäftigte und machte 2017 mit den „CargoBeamer Alpin“-Zügen einen Umsatz von zehn Millionen Euro. In Leipzig betreuen acht Mitarbeiter die Abwicklung der täglichen Transporte von und nach Italien. Weidemann und sein Vorstandskollege Markus Fischer kümmern sich europaweit um die Vermarktung und die Finanzierung zum Ausbau des Systems. Dass sich die Logistikbranche mit einem großflächigen Einstieg noch zurückhält, liegt laut Weidemann auch an alten Strukturen. „Die Bahn-Betreiber setzen bisher auf das klassische Containersystem“, sagt Weidemann. „Sie haben sich noch nicht auf das enorm wachsende Geschäft mit Sattelaufliegern eingestellt.“ Darin liege eine Chance für CargoBeamer.

Das nächste Ziel seines Teams sei der Aufbau weiterer Routen in Europa. „Unsere Technik funktioniert“, so Weidemann. „Und die Verlagerung der Güterverkehre auf die Schiene wird immer notwendiger.“