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Bautzen gibt den Ton an

Die Firma Eule baut die Orgel für den Dresdner Kulturpalast. Das Instrument ist in mehrfacher Hinsicht besonders.

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© Robert Michalk

Von Sebastian Kositz

Bautzen. Um die Pfeife einer Orgel zu stimmen, braucht’s vor allem Luft. Viel Luft. Und eine Kneifzange. Der Rest sind Zahlen und Berechnung und vor allem Erfahrung, wie Gregor Hieke sagt. Unter der langgestreckten Werkbank des Orgelbauers erzeugt ein kleiner Motor unablässig die besagte Luft. Über einen Schlauch gelangt sie in die mannshohe Pfeife, die ihrer Länge nach aufgebahrt vor Gregor Hieke liegt und einen stetigen Ton von sich gibt. Der Ton ändert sich erst, als der Fachmann schließlich zur Kneifzange greift. Behutsam biegt er an einem Schlitz an der Röhre eine Metalllasche nach unten. Das geht so lange, bis die Öffnung die richtige Größe hat – und der Ton endlich sitzt. Pfeife für Pfeife für Pfeife.

Die fertigen Pfeifen der einzelnen Register werden in den riesigen Schwellwerken nebeneinander aufgereiht.
Die fertigen Pfeifen der einzelnen Register werden in den riesigen Schwellwerken nebeneinander aufgereiht. © Robert Michalk
Orgelbauer Hannes Kunath öffnet eine Lasche an einer Pfeife. An der Öffnung wird später der Ton eingestellt.
Orgelbauer Hannes Kunath öffnet eine Lasche an einer Pfeife. An der Öffnung wird später der Ton eingestellt. © Robert Michalk
An der Rückwand über der Bühne wird die tonnenschwere Orgel im Dresdner Kulturpalast eingebaut.
An der Rückwand über der Bühne wird die tonnenschwere Orgel im Dresdner Kulturpalast eingebaut. © Ronald Bonß

Gregor Hieke hat noch einiges vor sich. Beim bekannten Bautzener Orgelbauer Eule arbeiten er und seine gut 40 Kollegen gegenwärtig mit Hochdruck an „Opus 686“. Eine Konzertorgel mit 3 600 Pfeifen, 56 Registern, achteinhalb Meter hoch und zwölf Tonnen schwer. Die Orgel ist für den Dresdner Kulturpalast bestimmt. Die Größe ist für die Bautzener nicht einmal ungewöhnlich. Erst im Frühjahr hatte Eule eine Konzertorgel mit über 4 000 Pfeifen nach China verschifft. Und dennoch ist diese Orgel jetzt aus mehrfacher Hinsicht besonders.

Seit mehr als drei Jahren lässt die Stadt Dresden den 1969 eröffneten Kulturpalast umbauen. Am 28. April soll der „Kulti“ wieder eingeweiht werden. Die Kosten für das Vorhaben beziffern sich auf fast 100 Millionen Euro – natürlich mehrere zwischenzeitliche Preissteigerungen inklusive. Und eben wegen der Kosten war zunächst der Einbau einer Orgel auch nicht vorgesehen.

Damit wollte sich aber nicht jeder anfinden. So wie beispielsweise Lutz Kittelmann. Er ist der Geschäftsführer des Fördervereins der Dresdner Philharmonie. Das bekannte Orchester ist einer der Hauptnutzer des Kulturpalastes. Lange hatten Lutz Kittelmann und seine Mitstreiter für den neuen Konzertsaal und den Umbau des Kulturpalastes gekämpft. Nur durch Zufall habe er davon erfahren, dass der erneute Einbau einer Orgel lediglich als spätere Option vorgesehen war.

Über eine Million Euro Spenden

Doch mit der Stadt ließ sich nicht gut verhandeln. „Also habe ich schließlich gesagt, wir machen das“, erinnert sich Lutz Kittelmann. Mehrfach hatte der Förderverein für das renommierte Orchester bereits Instrumente besorgt. Eine wertvolle Geige etwa. Eine Orgel war allerdings noch nicht dabei. Schließlich kam es zwischen Verein und Stadt zu einem Deal. Wenn es den Mitgliedern gelingt, eine Million Euro aufzutreiben, gibt die Stadt 300 000 Euro dazu.

Für den Verein war das eine Herausforderung. Doch das Geld kam tatsächlich zusammen – auch dank der vielen Nachfahren der einst in Dresden ansässigen jüdischen Bankiersfamilie Arnhold, die einen großen Teil aufbrachten. Heiligabend 2015 war das Ziel erreicht. Den Kontakt zu Eule hatte Lutz Kittelmann schon zweieinhalb Jahre vorher geknüpft. Der Verein hatte eine Jury mit Orgelfachleuten aus dem In- und Ausland gebildet – die sich unter drei deutschen und drei europäischen Anbietern einstimmig für die Bautzener aussprachen. Es folgten Monate der Planung, Anfang 2015 kam der Vertrag zustande.

Bis zur Wiedereröffnung des Kulturpalastes bleibt indes nicht mehr viel Zeit. Pfeifen, die Rahmenkonstruktion der Orgel, der Spieltisch und die gesamte Technik die dazugehört, werden bei Eule an der Wilthener Straße gefertigt. Die Schwellwerke, haushohe aus Holz gefertigte Kästen, in denen die einzelnen Orgelpfeifen später aufgereiht stehen, werden einmal komplett zusammengebaut und später wieder zerlegt und in Einzelteilen nach Dresden geschafft. Ein Teil ist bereits dort, ein paar Fahrten mit dem Laster seien aber noch nötig, wie Dirk Eule, Geschäftsführer des Bautzener Unternehmens ankündigt.

Besondere Register

Eine besondere Herausforderung ist der Spieltisch. Das Manual muss übersichtlich sein, nicht zu kompliziert. „Wir wollen berühmte Organisten aus der ganzen Welt nach Dresden holen. Die haben meist nur wenige Tage Zeit, um sich mit der Bedienung vertraut zu machen“, sagt Lutz Kittelmann. Der Spieltisch ist elektrisch, ein Sensor tastet 200 Mal je Sekunde die Tasten und Schalter ab und gibt die Signale via Funk weiter. „Da gibt es keine direkte Verbindung mehr zum Ventil“, sagt Dirk Eule.

Die kleinsten Pfeifen messen gerade fünf Zentimeter – die größten sind hingegen bis zu sieben Meter lang und haben einen Durchmesser von 40 Zentimetern. Damit da überhaupt ein Ton herauskommt, sind bis zu 14 Liter Luft nötig – pro Sekunde, wohlgemerkt. Die liefern wiederum zwei leistungsstarke Motoren, die in der Konstruktion mit verbaut werden.

Mit in der Orgel stecken aber auch noch vier sehr besondere Register. Die „Kronjuwelen“, wie sie genannt werden. Alle der 56  Register stehen für eine eigene Klangfarbe. Die vier besagten Register werden indes äußerst selten verbaut – und machen die Orgel zusätzlich einzigartig. Ihre intensives Klangvolumen eignet sich allen voran für sinfonische Werke der Spätromantik.

Bis zur Eröffnung im April müssen die Eule-Mitarbeiter die Orgel in Dresden nun zusammenzubauen. Fertig ist sie damit jedoch nicht. In den folgenden Wochen muss noch einmal Gregor Hieke ran. „Die Pfeifen müssen auf die Akustik im Raum genau abgestimmt werden. Das geht nur vor Ort“, sagt der Fachmann. Und allzu viel Zeit hat er dafür nicht. Am 8. September soll die Orgel schließlich mit einem Konzert eingeweiht werden.