Merken

Studenten beleben leeres Hotel

Ein Festival macht in Görlitz aus dem geschlossenen „Vier Jahreszeiten“ eine Woche lang ein Haus voller Überraschungen.

Teilen
Folgen
© Wolfgang Wittchen

Von Irmela Hennig

Der Sommer ist nackt. Der Frühling hat noch ein Tuch um die Hüften geschlungen. Doch der – oder sollte man sagen – die Sommer hat die Hüllen fallenlassen. Denn als Wandrelief im einstigen Görlitzer Hotel schräg gegenüber vom Bahnhof ist der Sommer eine Frau. So wie die anderen Jahreszeiten im Gespann, die den ursprünglichen Namen des Hauses in Szene setzen: Hotel Vier Jahreszeiten.

Die Macher vor dem geschlossenen Hotel.
Die Macher vor dem geschlossenen Hotel. © Wolfgang Wittchen
Der Sommer - dargestellt in der Hotelhalle
Der Sommer - dargestellt in der Hotelhalle © Wolfgang Wittchen
Das Treppenhaus.
Das Treppenhaus. © Wolfgang Wittchen
Die Tapeten erinnern an DDR-Zeiten.
Die Tapeten erinnern an DDR-Zeiten. © Wolfgang Wittchen

Die Zeit der An- und Abreisen, der Pagen und Zimmermädchen, der Koffer und Zimmerschlüssel ist hier lange vorbei. Anfang der 1990er Jahre schloss das Hotel seine Türen. Vielleicht für immer. Zwar gibt es seit 2013 einen Besitzer in Russland und einen Görlitzer Verwalter, spruchreife Pläne für das Haus an der Ecke von Berliner und Bahnhofstraße gibt es nicht.

Trotzdem zieht in diesen Tagen Zukunft in den Bau aus der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts ein. „Zukunftsvisionen“ heißt ein Festival für zeitgenössische Kunst, das am Sonnabend beginnt und bis Ende Mai Musik, Partys, Workshops, Literatur, Spiele und Kunst in das einstige Hotel bringt. Vielleicht wird es ja ein bisschen wie früher, wenn zur Eröffnung am 23. Mai wieder Leute über die abgetretenen, verstaubten Treppenstufen ins Foyer steigen. Vielleicht macht sich jemand chic, so wie die „gehobenen Gäste“, für die das Vier Jahreszeiten einst Herberge war.

13 Studenten der Hochschule Zittau/Görlitz, die meisten aus dem Bereich Kultur und Management, organisieren das Festival. Und das im neunten Jahr. Ziel und Zweck ist es unter anderem, leerstehende Gebäude – die es in Görlitz reichlich gibt – zu füllen. Mit Kunst und Kultur, mit Leben, mit Visionen. Erik Heinrich, 22 Jahre alt, ist in diesem Jahr Projektleiter. Eine zeitintensive Sache ist das unbedingt. „Es geht los mit der Gebäudesuche und den Fördermittelanträgen lange vor dem eigentlichen Start“, erzählt der Student, der aus Dresden stammt. Danach läuft eine Ausschreibung für Künstler, die sich auf dem Festival präsentieren können, Sponsoren und Spender werden gesucht – seit drei Jahren erfolgreich auch über Crowdfunding im Internet. Eine Jury wählt Kunstschaffende aus. Und schließlich wird das Gebäude so hergerichtet, dass hier ein Festival stattfinden kann. Das heißt ganz praktisch: Baustromanlage organisieren, Kabel verlegen, Müll rausräumen, kehren, Fenster putzen.

Trotzdem wirkt das Hotel, das zu DDR-Zeiten den Namen „Hotel Haus des Handwerks“ bekam, nicht wie aus dem Ei gepellt. Farbe blättert von den Wänden, alte Sicherungskästen sind von früher geblieben, so wie die Mustertapete aus den 60er Jahren. Für die Stuttgarter Künstlerin Christin Holler, die unter anderem Textilarbeiten zeigt, macht genau das den Reiz aus. „Man kann mit dem Raum arbeiten, hat nicht alles fertig wie in einer Galerie“, so die Kunsttheraphie-Studentin. Elf Künstler aus Deutschland, Italien, Frankreich und Südkorea präsentieren ab Sonnabend ihre Arbeiten. Hinzu kommen Werke und Performances von Artists in Residence – besondere Gastkünstler, die das Festival erstmals eingeladen hat. Seit 25. April sind sie in Görlitz unterwegs, haben Kunst für und mit der Stadt entwickelt. Eine Förderung der Bundeskulturstiftung macht dieses Angebot möglich. In einem Spirituosen-Laden am Hotel, dessen Originalausstattung erhalten ist, werden Breslauer Künstler eine Art Laden einrichten. Verkauft werden nicht fertige Produkte, sondern Anleitungen zum Nachbauen. Zudem soll es einen Fahrradshop und -verleih geben.

Parallel läuft in Görlitz zu Pfingsten das erste Foto-Festival. Dabei gibt es Ausstellungen, Wettbewerb, Workshops und Sonnabend einen Fotorundgang mit anschließender Spontanausstellung. Zukunftsvisionen und Foto-Festival taten sich zusammen, nachdem sie die Terminüberschneidung festgestellt hatten. Nun bewirbt man sich gegenseitig. Und letztlich bietet sich das Hotel Vier Jahreszeiten, das sich seit 1927 im Art-Deko-Stil präsentiert und noch viel von der alten Substanz hat, auch an als Fotomotiv und Inspirationsquelle.

Zukunftsvisionen vom 23. bis 30. Mai im Hotel Vier Jahreszeiten, Ecke Berliner und Bahnhofstraße, Eröffnung am Sonnabend, 18 Uhr; parallel: erstes Görlitzer Fotofestival ab 22. Mai, 19 Uhr, im Fotomuseum Görlitz.

zuvi-festival.de; www.fotofestival-goerlitz.de