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Bauarbeiter legen alten Brunnen am Demianiplatz frei

Der historische Schacht in Görlitz ist über elf Meter tief. Er bleibt als Denkmal erhalten.

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© Pawel Sosnowski

Von Ralph Schermann

Ja, das könnte er vielleicht sein. Bernd Mühle vom Tiefbau- und Grünflächenamt der Stadtverwaltung Görlitz schaut auf eine Zeichnung von 1830. Darauf sieht der Bauleiter für die Umgestaltung des ehemaligen Busbahnhofes Demianiplatz einen Platz mit vielen Bäumen und einem Brunnen. Und der tauchte jetzt wieder auf.

So sah der Demianiplatz 1830 vor seinem Umbau aus: Holzhäuser, Baumreihen, hinten links und rechts Reichenbacher Turm und Frauenkirche. Der zur Brunnensäule vorn gehörende Schacht wurde jetzt bei einem erneuten Platzumbau aufgefunden.
So sah der Demianiplatz 1830 vor seinem Umbau aus: Holzhäuser, Baumreihen, hinten links und rechts Reichenbacher Turm und Frauenkirche. Der zur Brunnensäule vorn gehörende Schacht wurde jetzt bei einem erneuten Platzumbau aufgefunden. © Repro: Sammlung Schermann

„Bei der Sanierung des Platzes kam ein alter Schacht zum Vorschein“, sagt Bernd Mühle. Vorarbeiter Michael Thomas vom Görlitzer Gleis- und Tiefbau zeigt auf das im Durchmesser rund 1,50 Meter breite Bauwerk, historisch gesetzt aus trockenen Natursteinen und in mühsamer Handarbeit. „Die mussten damals Eimer für Eimer den Abraum nach oben schleppen“, vermutet Bernd Mühle. Viel Arbeit, denn der Schacht ist 11,5 Meter tief. Rund acht Meter hoch steht das Wasser darin.

Dass an dieser Stelle etwas sein musste, war den Bauleuten bekannt. Denn in alten Zeichnungen gab es einen Hinweis auf einen Schacht. Wann er angelegt wurde? Da muss selbst Denkmalexperte Peter Mitsching passen. „Unbekannt“, heißt es aus der Unteren Denkmalschutzbehörde. Die Gleis- und Tiefbauer stießen zunächst auf eine Granitplatte, die den Schacht abdeckte. Bernd Mühle erklärt, warum die Nutzung als öffentlicher Brunnen naheliegt: Die Steinplatte verfügt an einer Stelle über eine Aussparung. „Da hat möglicherweise eine Pumpe draufgestanden“, überlegt der Bauleiter. Tatsächlich zeigt die alte Abbildung eine Schwengelpumpe zur Wasserförderung. Die Aussparung dafür wiederum fanden die Bauarbeiter mit einer gesonderten Metallplatte verschlossen.

Erst vor wenigen Wochen waren wenige Meter daneben alte Holzwasserleitungen ans Tageslicht gekommen. Damit aber hat der Brunnen nichts zu tun. Oder doch? Um diese Frage zu beantworten, muss in der Chronik geblättert werden. Bevor der Demianiplatz ab 1846 Gestalt annahm, befanden sich an dieser Stelle vor den Stadtmauern die Radeläuben, auch Rademarkt genannt. Rademacher waren Stellmacher, und viele von ihnen hatten dort Werkstätten. Die Radeläuben zogen sich hin zwischen Bautzener Straße und Frauenkirche und lagen neben einer doppelten Baumreihe. Der Brunnen gehörte zu vielen solchen Wasserspendern, von denen 1728 nachweislich 65 allein innerhalb der Stadtmauern in Betrieb waren. Auch vor den Toren der Stadt gab es sie – kein Wunder, dass an den Demi-Brunnen nebenan noch heute der Name Brunnenstraße erinnert. Vor der Grabung des Brunnens hieß diese Stelle übrigens „Der kleine Steinbruch“. Um 1840 begannen die Veränderungen am Rademarkt. Alle alten Holz- und Lehmbauten wichen steinernen Häusern, die Bäume wurden gefällt, Kanäle angelegt, der Platz planiert und wenig später das Stadttheater gebaut. Mit Zunahme der Erschließung durch Wasserleitungen als Rohrnetz verloren die alten Schwengel-, Schöpf- und Ziehbrunnen schrittweise ihre Bedeutung. Sie wurden verschüttet, oder – wie am Demianiplatz – für den Fall einer möglichen Notnutzung fein säuberlich abgedeckt.

Das passiert auch jetzt wieder. „Der Brunnen wird versteckt, aber erhalten“, erklärt Bernd Mühle. Der Schacht erhielt rundum ein kleines Fundament, bekommt eine 25 Zentimeter dicke Stahlbetonplatte mit einer 60 Zentimeter großen Einstiegsluke. Darauf wiederum kommt ein kurzer konischer Schacht, der mit einem normalen Schachtdeckel verschlossen wird. Wer weiß, wer irgendwann mal wieder nachsehen will, was dort so darunter liegt…