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Barrierefrei heißt noch nicht gut

Bei einem Stadtrundgang lässt der Behindertenbeirat die Teilnehmer testen, wie sie mit Handicaps auf den neuen Straßenstücken zurechtkommen.

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© Dietmar Thomas

Von Heike Heisig

Roßwein. Nur noch zwei erbsengroße Sehfelder bleiben Menschen, die den Alltag mit einem Tunnelblick bestreiten müssen. Sie bemerken ohne Hilfen gar nicht, an welchen Stellen der Straße der Bordstein abgesenkt ist. „Und hier stünde ich schon mal im Wald“, ist sich Sylvia Meißner sicher. Als Mitglied des Ausschusses für Technik hat sie sich am Donnerstag dem barrierefreien Stadtrundgang angeschlossen. Dazu haben die Behindertenbeiräte eingeladen. Um Handicaps nachvollziehen zu können, tragen Sylvia Meißner und einige weitere Teilnehmer Brillen, die mittlere bis starke Sehschwächen simulieren. Und so stolpern die Ersten auch prompt über das Tannengrün, das ein Geschäftsmann an der Döbelner Straße auf dem Gehweg als Freiluftauslage präsentiert.

Auch für Sylvia Meißner und Uwe Hachmann ist der Rundgang mit Brillen, die Sehbehinderungen simulieren, eine Herausforderung. Von den Stadträten sind beim Rundgang nur jene dabei, die sich im Behindertenbeirat engagieren.
Auch für Sylvia Meißner und Uwe Hachmann ist der Rundgang mit Brillen, die Sehbehinderungen simulieren, eine Herausforderung. Von den Stadträten sind beim Rundgang nur jene dabei, die sich im Behindertenbeirat engagieren. © Dietmar Thomas

Wer dort angekommen ist, hat als Rollstuhlfahrer schon die erste Hürde ab dem Markt genommen. Der Fußweg auf der Marktecke fällt zur Döbelner Straße so stark ab, dass sich Beiratsvorsitzende Kerstin Bauer im Rollstuhl an einem alten Geländer festhalten muss, das sich noch in der Hauswand befindet. Wegen der örtlichen Gegebenheiten konnte der Gehweg an dieser Stelle nicht anders ausgebaut werden, hieß es bei der Straßenfreigabe. Das mag stimmen. Doch dieses Sicherheitsrisiko soll im Nachhinein abgemildert werden. Nach einem Treffen mit Vertretern des Landesamtes für Straßenbau und Verkehr erklärte Bürgermeister Veit Lindner (parteilos), dass die abgesenkten Bordsteine in dieser Kurve zurück- und in normaler Höhe eingebaut werden. Weiterhin werde ein Geländer installiert. Das soll verhindern, dass Rollstuhlfahrer auf die Straße geraten, wenn sie die Kurve im wahrsten Wortsinn nicht kriegen. Der Bordstein soll nun nach dem ersten Parkfeld abgesenkt werden und Menschen mit Gehhilfen dort ein Stück abseits der Kreuzung das Queren der Straße erleichtern.

Ein ähnliches Neigungsproblem gibt es ein paar Meter weiter im Bereich vor den Geschäften Schrambke und Thiele. Dort fällt der Gehweg fast zwölf Zentimeter ab und damit doppelt so viel als zulässig. Auch dafür ist nach langem Hin und Her und nachdem sich Bundes- und Landtagsabgeordnete eingeschaltet haben, ein Lösungsansatz gefunden worden. Der Bordstein an dieser Stelle wird ebenfalls wieder erhöht und ein zweiter in der Flucht des Hauses eingebaut. Das könnte die Neigung um fünf bis acht Zentimeter verringern.

Wie nötig das ist, zeigte der Selbsttest der Teilnehmer. Ilona John zum Beispiel konnte das Abdriften des Rollstuhles kaum verhindern. Kerstin Bauer und Henning Homann, Chef der SPD-Ortsgruppe und beschwerdeführender Landtagsabgeordneter, hatten ebenfalls so ihre liebe Not, den Rollstuhl zum Stehen zu bringen. Ähnlich erging es den Testern an der Kurve Döbelner-/Dresdener Straße. Dort kommt zur Neigung noch hinzu, dass der Rollstuhlfahrer sich beim Bremsen noch zur Fahrbahn drehen muss, wenn er die Straßenseite an der Ampelanlage wechseln will.

„Für alle wäre es bestimmt sicherer gewesen, die Fußgängerampel noch ein paar Meter in die Dresdener Straße hinunter zu versetzen“, sagt Kerstin Bauer. Sie selbst hat als Autofahrerin schon einen Fußgänger erst nahe am Überweg bemerkt.

Im ersten Halbjahr sollen die festgestellten Mankos –  auch die an der Einmündung zum Brückenplatz (DA berichtete) – abgestellt werden. Dann kommt Thorsten Gruner besser zurecht, hofft er. Als Blinder ist er auf die Hilfen angewiesen. „Für mich ist der Fußweg auf der Döbelner Straße noch ziemlich gefährlich, weil es Blinde automatisch die Neigung hinunterzieht“, erklärt er. Auch an den Ampeln fand er Schwachstellen. Überdies fehlen ihm Markierungen (Achtungsfelder) im Pflaster.

Sind alle Kritikpunkte abgestellt, will sich der Behindertenbeirat zufriedengeben. Er hofft, dass die Änderungen zu mehr Sicherheit führen, keine neuen Irritationen auslösen. Bis dahin müssen die Nutzer einen Winter lang mit abfallenden Gehwegen klarkommen. Glätte könnte ein Problem werden. „Notfalls müssen wir die kritischen Bereiche sperren“, kündigt der Rathauschef an.