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Bagatellfälle blockieren Notaufnahme

Die Patientenzahlen in der Sebnitzer Klinik steigen. Viele gehen lieber ins Krankenhaus statt zum Hausarzt.

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© Dirk Zschiedrich

Von Carina Brestrich und Dirk Schulze

Sebnitz. Volle Warteräume, gestresste Krankenschwestern und Ärzte, die von einem Behandlungszimmer zum nächsten eilen: Wer in die Notaufnahme eines Krankenhauses kommt, der muss meist Geduld mitbringen. Vor allem an den Wochenenden, wenn die Arztpraxen geschlossen haben, sind die Notfallambulanzen erste Anlaufstelle für Patienten. So auch in Sebnitz und in der Hohwaldklinik. In den Notaufnahmen der beiden Asklepios-Kliniken wurden im vergangenen Jahr knapp 6 900 Menschen behandelt, wobei es sich im Fachkrankenhaus in Hohwald um rein orthopädische Fälle handelt. Das Problem: Nicht jeder Patient ist tatsächlich ein Notfall. Welche Folgen das hat und welche Lösung es gibt, erklärt die SZ in einem Überblick.

Folgen und Lösungen

Wie viele Patienten kommen in die Notaufnahme?

Die Mitarbeiter in der Notfallambulanz der Sebnitzer Klinik bekommen immer mehr zu tun: Waren es im vergangenen Jahr noch rund 4500 Patienten, sind die Zahlen von Januar bis Ende September 2016 im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um 29Prozent angestiegen. Auch in der orthopädischen Fachklinik im Hohwald melden sich von Quartal zu Quartal mehr Menschen in der Notfallambulanz. Knapp 2400 waren es 2015. Der Anteil derer, bei denen es sich nicht primär um Notfallpatienten handelt, sei dabei gewachsen, erklärt Stefan Härtel, Geschäftsführer beider Häuser. „Zum Teil ist es tatsächlich so, dass Leute kommen, weil sie sich denken, sie haben gerade Zeit.“

Ein Einzelfall sind die beiden Asklepios-Kliniken in Sebnitz und in Hohwald mit diesem Problem nicht. Das auf das Gesundheitswesen spezialisierte Forschungsinstitut Aqua hat für den Verband der Ersatzkassen, zu der unter anderem die Techniker Krankenkasse und die Barmer gehören, eine Studie angefertigt. Demzufolge lassen sich jährlich 20 Millionen Menschen in einer Notaufnahme behandeln. Bis zu zwei Drittelvon ihnen seien genauso gut auch bei einem niedergelassenen Arzt aufgehoben.

Warum kommen so viele Patienten mit leichten Erkrankungen?

Die Autoren der Studie begründen das Problem unter anderem mit den Wissenslücken der Patienten. „Früher hat die Großmutter bei einem fiebernden Kind Wadenwickel gemacht. Heute weiß niemand mehr, wie man so was macht“, sagt Aqua-Geschäftsführer Joachim Szecsenyi. Auch dass Hilfe durch den ärztlichen Bereitschaftsdienst möglich ist, wissen viele nicht. Dieser sichert die ambulante medizinische Versorgung außerhalb der Sprechzeiten und an Sonn- und Feiertagen ab.

Asklepios-Regionalgeschäftsführer Stefan Härtel sieht die Gründe eher woanders: „Das Gesundheitsbewusstsein der Menschen ist gestiegen und damit auch das Anspruchsverhalten.“ Viele Patienten sagten sich, wenn sie erst zum Hausarzt gehen, überweist der sie zu einem Spezialisten. Doch wann bekommen sie dort einen Termin? Das dauere vielen zu lange. Stattdessen gehen sie lieber gleich ins Krankenhaus. Dort ist das Labor rund um die Uhr besetzt, der Befund schnell da. Eine Schwester aus der Notaufnahme der Sebnitzer Klinik ergänzt noch eine andere Perspektive: „Die Patienten kommen in die Notfallambulanz, weil es für sie ein Notfall ist.“ Wie schlimm es tatsächlich ist, kann letztlich nur ein Arzt herausfinden.

Welche Folgen haben solche Bagatellen für tatsächliche Notfälle?

Der Verband der Ersatzkassen warnt vor den Folgen durch verstopfte Notfallambulanzen: Lebensbedrohlich erkrankte Patienten drohen, zu spät behandelt zu werden. Die Sebnitzer Klinik kann diese Befürchtung nicht bestätigen. Wie in vielen anderen Notfallambulanzen wurde hier ein spezielles System zur Ersteinschätzung eingeführt. Dabei werden die Patienten je nach Schwere ihrer Erkrankung in Gruppen eingeteilt – und dementsprechend an die Reihe genommen. Ist jemand lebensgefährlich verletzt, wird er sofort behandelt. Wer dagegen nur eine leichte Erkrankung aufweist, muss bei größerem Patientenaufkommen auch mal mit längeren Wartezeiten rechnen.

Wie wirken sich solche Bagatellfälle auf die Krankenhäuser aus?

Mit der steigenden Zahl an Patienten wird in erster Linie die Belastung für die Mitarbeiter größer. Für die Krankenhäuser selbst haben die Bagatellfälle zudem finanzielle Folgen. Laut Deutscher Krankenhausgesellschaft ist die Notfallversorgung in den Kliniken ein milliardenteures Minusgeschäft. Der Grund: Pro ambulantem Fall bekommen Krankenhäuser wie in Sebnitz unter 40 Euro. Die tatsächlichen Behandlungskosten liegen in der Regel aber weitaus höher, meist bei mehr als 100 Euro. Die Folge ist eine Finanzierungslücke, die mit den Einnahmen aus anderen Bereichen gedeckt werden muss und durch die Bagatellfälle immer größer wird. Deshalb gibt es die Forderung nach einem neuen Vergütungssystem. Krankenhäuser, Kassen und Ärzte verhandeln derzeit. Laut Krankenhausgesellschaft stünden Krankenkassen und Kassenärztliche Bundesvereinigung aber auf der Bremse.

Welche Lösung ist denkbar, um die Notaufnahme zu entlasten?

Die Ersatzkassen fordern, sogenannte Portalpraxen an den Krankenhäusern einzurichten. Diese sollen die erste Anlaufstelle für Notfallpatienten und mit einer ambulanten Notfallpraxis verknüpft sein. Das Prinzip: Nach einer ersten, raschen Begutachtung werden die Patienten eingeteilt. Je nach Schwere der Erkrankung werden sie dann entweder in die Notaufnahme, zu einem niedergelassenen Arzt außerhalb des Krankenhauses oder in die angeschlossene ambulante Notfallpraxis weitergeleitet. Ziel ist es, die Patienten in den richtigen Behandlungspfad zu lotsen.

Die Portalpraxen sind bereits Teil der Klinikreform der Großen Koalition. Eine Verpflichtung für Krankenhäuser gibt es aber nicht. Unter niedergelassenen Ärzten sind die Portalpraxen nicht unumstritten.

Wohin sollen die Patienten, wenn nicht in die Notaufnahme?

Ein wichtiger Schritt wäre aus Sicht der Kliniken schon getan, wenn mehr Patienten den kassenärztlichen Bereitschaftsdienst nutzen würden. Wer mit seinen Erkrankungen normalerweise zum niedergelassenen Arzt gehen würde, aber nicht bis zum nächsten Tag warten kann, der kann sich an die bundesweit einheitliche Rufnummer 116117 wenden. Dort erfahren Patienten, welche Praxis Dienst hat. In schwierigeren Fällen können auch Hausbesuche organisiert werden.

Im Zweifelsfall: Wann sollte man in eine Notaufnahme?

Eine pauschale Antwort auf diese Frage gibt es nicht. Grundsätzlich wird kein Patient weggeschickt. Bei schweren Verletzungen oder Verbrennungen, bei akuten starken Schmerzen in Bauch oder Brustkorb, bei akuter Atemnot, neurologischen Ausfall-Erscheinungen oder dem Verdacht auf Herzinfarkt oder Schlaganfall ist es ratsam, die Notaufnahme anzusteuern –oder besser die Rettungsleitstelle unter 112 anzurufen. Die Spezialisten dort können aufgrund der Patienten-Schilderung einen Notarzt schicken. Schon lange bestehende Beschwerden wie Rückenschmerzen sind dagegen bei einem niedergelassenen Arzt besser aufgehoben. (mit dpa)

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