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Bäumchens Kinderstube

In der Prietitzer Baumschule Kohout wird keine Winterruhe gehalten, sondern emsig veredelt. Für Kunden weltweit.

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© René Plaul

Von Manuela Reuß

Beate Bsyl erschafft neues Leben. Und das tausendfach. Der Winter ist die beste Zeit dafür. Im Gewächshaus rasiert die Gärtnerin das Stämmchen einer jungen Fichte. Sie schabt kurz mit dem Messer über die Rinde und schon sind auf einem etwa fünf Zentimeter langem Stück die Nadeln ab. Dann schneidet sie eine schräge Kerbe ins Holz. Nachdem auch ein kleiner Reiser – ein einjähriger Trieb – einen schrägen Anschnitt bekommen hat, werden beide Schnittstellen aneinandergefügt und verbunden. „Das ist wie eine kleine Operation“, erklärt Baumschul-Chef Jörg Kohout. Nur dass Beate Bsyl statt eines Pflasters einen Gummi zum Verbinden der frisch operierten Fichte nimmt.

Veredeln heißt diese Prozedur, welche in der Zeit von Oktober bis März einen Großteil der Arbeit in der Prietitzer Baumschule ausmacht. Acht Mitarbeiter sind gut sechs Monate damit beschäftigt. „Man denkt immer, dass der Gärtner Winterruhe hält. Doch bei uns ist das keinesfalls so“, sagt der Garten-Fachmann. In seiner Baumschule herrscht auch in der kalten Jahreszeit emsiges Treiben. Während der Vegetationspause sind die Prietitzer mit Vermehrung und Veredlung ihrer Gewächse beschäftigt. Denn die Prietitzer, die in fast alle Länder Europas exportieren, legen großen Wert auf eigene Produktion. Nachschub wird ständig gebraucht. Rund 3 000 Bäumchen stehen im Gewächshaus, in dem Beate Bsyl und Anja Kohout gerade fünfjährige Fichten und kanadische Hemlocktannen verarzten. Im September wurden sie getopft und reingeholt. Ins Beet dürfen sie erst wieder im Mai. Wenn kein Frost mehr zu erwarten ist. Genug Zeit und auch ideale Bedingungen also zum Zusammenwachsen. Denn in den durchschnittlich 15 Grad warmen Gewächshäusern sind die Pflanzen der Natur ein ganzes Stück voraus.

Alle Pflanzen per Hand gepfropft

In insgesamt neun Gewächshäusern ziehen die Baumschul-Mitarbeiter ihren Pflanzennachwuchs heran. Jörg Kohout nennt die Glashäuser deshalb auch Kinderstube. In einer stehen 15 000 bereits veredelte Zwerggewächse. Alle per Hand gepfropft. Jeder einzelne Trieb muss unter die Rinde des Mutterbaumes geschoben werden. Eine Heidenarbeit. 150 000 Veredlungen werden pro Jahr hergestellt. Ob die sich am Ende auszahlt, muss man abwarten. Damit aus dem auch wirklich die gewünschten Bäumchen werden, braucht es mehr als nur einen grünen Daumen. Der Erfolg zeigt sich erst ein paar Jahre und unzählige Handgriffe später. Dann sind aus den normalgewachsenen Fichten kleine Stämmchen mit Kugelkopf geworden oder aus den Hemlocktannen Stämmchen mit Hänge-Krone. „Das macht diesen Beruf auch so schwer“ , erklärt Jörg Kohout. Um eine Baumschule aufzubauen, brauche man Jahre. Zudem koste die Produktion erst mal nur Geld, bevor sie überhaupt welches einbringe. „Da braucht man einen langen Atem.“ Dazu kommt eine weitere Klippe. Der Trend. „Der ändert sich mitunter schneller, als man mit der Produktion hinterher kommt“, weiß der Gärtnermeister.

Momentan sind große Solitärpflanzen der Renner. Die werden nicht nur von Kunden aus der Region gekauft, sondern auch weltweit verschickt. Gerade jetzt ist der ideale Zeitpunkt dafür, denn die Pflanzen befinden sich in Ruhephase. Warm verpackt und weich gepolstert macht ihnen in der Zeit eine lange Reise keinen Stress.

Die Prietitzer haben Kunden in ganz Europa und darüber hinaus. Eine Liebhaberin seltener Gewächse reist sogar jedes Jahr von Kasachstan nach Prietitz, um sich umzusehen. Kein Wunder. Bei Kohouts gibt’s besondere Exoten. Zum Beispiel die eissilbrige Zwergglockentanne – eine Züchtung, mit der die Prietitzer auf Messen schon zig Preise abgeräumt haben. Der Baumschul-Chef gehört nämlich zu einer weltweit kleinen Gruppe, die Hexenbesen sammelt. Die Miniatur-Nadelgehölze haben es ihm angetan. Von den natürlichen Mutanten bringt er Samen mit, um sie im heimischen Betrieb zu ziehen und weiter zu veredeln.

Neuheit von der Messe mitgebracht

Für die Zwergglockentanne brauchte er allerdings nicht um die halbe Welt reisen. Die entdeckte er zufällig im eigenen Betrieb. „Mutanten gibt’s halt überall.“ Mancher Kunde würde die Zwergglocke gern als Groß-Pflanze kaufen. Doch die gibt es nicht. Noch nicht. Die größten Exemplare sind jetzt 60 bis 70 Zentimeter im Durchmesser. Obwohl sie schon 20 Jahre auf dem Buckel haben. So wie die meisten der Kohout’schen Pflanzen sind sie langsamwachsend. Darunter gibt’s viele ausgefallene Gewächse, zum Beispiel welche mit gedrehten oder gelben Nadeln. Bei der letzte Woche zu Ende gegangenen internationalen Gartenbaumesse in Essen hatte Jörg Kohout die nächste Neuheit im Gepäck – eine virginische Kiefer, die Temperaturen von 40 Grad plus bis 25 Grad minus verträgt. Angesichts zunehmend heißer Sommer wird auch diese Kiefer bei Gartenliebhabern sicher großen Anklang finden.