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Babylon Dresden

Nicht nur in Berlin wurde in den Goldenen Zwanzigern ausgiebig gefeiert. Dresden galt als Hochburg des Varietés.

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© SZ Thomas Lehmann

Von Ralf Hübner

Kino, Varieté, Ballhäuser, käufliche Liebe: Nicht nur im „Babylon Berlin“ ging in den 1920er-Jahren die Post ab. Auch in Dresden gab es in der Zwischenkriegszeit ein glitzerndes Nachtleben. Selbst mitten in der Woche sollen damals Tausende diverse Etablissements bevölkert haben. Die einstigen Vergnügungstempel im Zentrum der Stadt sind im Feuersturm des Zweiten Weltkrieges untergegangen.

Das Ballhaus „Tivoli“, ein Bild um 1910, war ein gut besuchtes Etablissement.
Das Ballhaus „Tivoli“, ein Bild um 1910, war ein gut besuchtes Etablissement. © Sammlung H. Naumann

Schon um 1900 wurden in Dresden mindestens zwölf Varietés gezählt. Begonnen hatte es 1869 mit dem Victoria-Salon, dem ersten Varieté-Theater Deutschlands. Die 1920er-Jahre brachten eine weitere Expansion. Von Großvarieté bis Tingeltangel gab es in Dresden etwa 40 Spielstätten. Dresden galt als Hochburg des Varietés.

Im „Regina-Palast“ auf der Waisenhausstraße, dem damals wohl bekanntesten Tanzkabarett der Stadt mit täglich zwei Vorstellungen, wurde per Tischtelefon geflirtet oder der nächste Tango verabredet. Das „Regina“ galt als preiswert, schon weil dort auf den sonst üblichen Wein- und Gedeckzwang verzichtet wurde. Kleine Angestellte hofften dort ebenso auf eine aufregende Großstadtnacht wie die Mädchen aus dem Vorzimmer, Leute aus der Provinz, Durchreisende, Pärchen mit den richtigen oder falschen Partnern. Hunderte Ehen sollen sich angeblich im „Haus der guten Programme“, so die Reklame des zwischen 1911 und 1913 erbauten Kabaretts, angebahnt haben. Das in Silbertönen gehaltene Varieté mit etwa 300 Plätzen im Tiefgeschoss der Union-Theater-Lichtspiele wirkte großzügig und elegant-intim. Die artistischen Darbietungen hatten Zirkusformat. Mitte der 1920er-Jahre gastierte Stimmungskanone Karl Napp. Berliner Kabarettisten kam gern in die Waisenhausstraße. In der Nacht des 13. Februar wurden die U.T.-Lichtspiele mit 1120 Sitzplätzen nur leicht beschädigt. Dennoch verzichtete die Stadt auf den Wiederaufbau.

Das ebenfalls prominente Tanzkabarett „Vaterland“ auf der Prager Straße, ab 1937 „Frascati“, lockte mit niveauvoller Kleinkunst mit internationalem Touch, gepflegter Tanz- und Caféhausmusik sowie makelloser Gastronomie. Das Geschehen begann 16 Uhr mit dem Nachmittagstee bei freiem Eintritt, 20 Uhr kamen die Gäste zu Varieté und Tanz. Die elegante Bar mit viel Plüsch, Chrom, einer kleinen Tanzdiele und raffinierten Lichteffekten belebte sich ab 17 Uhr, 19 Uhr folgte der intime Tanztee und 21 Uhr die Cocktailstunde, bei der Sekt und scharfe Getränke flossen. Man flirtete und ging bei Slow-Fox und Tango auf Tuchfühlung. Die Kellner servierten im Frack. Im Januar 1940 gastierte Lale Andersen, seit ihrer „Lili Marleen“eine Berühmtheit.

Täglich bis 3 Uhr morgens vergnügten sich die Dresdner im 1916 eröffneten Tanzpalais „Barberina“ nahe dem Hauptbahnhof auf der Prager Straße, dem „Parkett der Attraktionen aus aller Welt“. Der längliche Saal mit 300 Plätzen, einer kleinen Muschelbühne, eingebauten Logen und Terrasse wirkte fast pompös, die Säulen zierten pastellfarbene Ornamente, die Wände trugen Plüsch, ein schwerer Leuchter erstrahlte. Täglich 16 und 20 Uhr lud das Haus zu Tanz und Varieté. Monatlich mindestens vier Nachmittage blieben den Hausfrauen der Stadt reserviert, Kränzchen bei freiem Eintritt, verbilligten Kaffeegedecken, preiswerten Getränken. Weniger bekannte Artisten standen ebenso im farbigen Licht der Saalscheinwerfer wie kleine Tierdressuren, Komiker und Schönheitstänzerinnen. Ab und an wurde Prominenz verpflichtet. 1928 gastierte mit Robert Grüning ein Meister des Plauderns und der feinen Pointen.

An der Seestraße 1 hatte sich in der ersten und zweiten Etage Anfang der 1920er-Jahre das „Cabaret Altmarkt“ niedergelassen, das sich 1938 den klangvollen Namen „Esplanade“ zulegte. Die großzügigen, elegant ausgestatteten Räume boten Platz für mehr als 200 Besucher. Im Scheinwerferlicht wurden die für die 1920er- und 1930er-Jahre typischen Programme mit Artistik, Magie, Ballett, Komik, moderner Operette und mehr oder minder pikanten Chansons geboten. Als Besonderheit galten „Reeperbahn-Nächte“, „Wiener Prater-Zauber“ oder „Paris, wie es weint und lacht“.

Große Tanzsäle hatte das Ballhaus „Tivoli“ in der jetzigen Schweriner Straße. Von „Dresdens größter Ballschau“ oder „feenhaften Ballfesten“ war in der Presse die Rede. „Es ist ein Stadtgeheimnis: Im ,Tivoli‘ tanzen die schicksten Mädels, sieht man die neuesten Moden“, hieß es. Besonders stimmungsvoll ging es beim Maskenball im Februar 1924 zu. Die Inflation der Jahre zuvor war zu Ende. Doch neben dem Tanz wurden immer mehr Kinoveranstaltungen besucht. Deshalb entstanden in einem der großen Säle 1925 die „Alhambra-Lichtspiele“.

Das Dresdner Rotlichtviertel war vor allem in der Wilsdruffer Vorstadt, aber auch im Bereich der ehemaligen Großen Frohngasse nahe dem Altmarkt zu Hause.

Nach den schweren Zerstörungen im Krieg fasste die „Kunst der urbanen Unterhaltung“ schon am 1. Juni 1945 mit dem Volksvarieté und am 1. Juli mit dem Ballhaus Watzke wieder Fuß. Bis zum staatlichen Eingriff 1952 gab es wieder etwa 15 Varietés aller Couleur. Dem ersten HO-Varieté Carolaschlösschen (1955) folgte im Mai 1958 das Café Prag, das als einziges Tanzvarieté Deutschlands noch bis 1988 überlebte und eigentlich nur wegen eines Umbaus geschlossen wurde. Dabei blieb es dann. Ein Neustart unter dem Italiener Giuseppe Balducci als „Luxor Palace“ im November 1992 scheiterte.