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Babyboom, aber Hebammenflaute

Wegen der steigenden Haftpflichtprämien müssen immer mehr Geburtshelfer aufgeben. Dabei gibt es viel zu tun.

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© Sven Ellger

Von Julia Vollmer

Endlich klingelt es. Mama Silke tigert aufgeregt auf und ab, sie macht sich große Sorgen. Ihre kleine Clara ist erst zwei Monate alt und hustet und schnupft. Hebamme Christina König vom Geburtshaus Bühlau – in dem auch viele Babys aus dem nahen Radeberg, vor allem dem angrenzenden Ortsteil Ullersdorf zur Welt kommen – steht vor der Tür. Hausbesuch. Nach der Entbindung besucht die Geburtshelferin alle paar Tage die frisch gebackenen Eltern, um sie zu beraten. In der Küche duftet es nach frischem Kaffee, Silke und ihre Hebamme besprechen Hausmittel gegen die Erkältung. Ob es diese wichtigen Gespräche und das Beratungsangebot künftig noch geben wird, ist ungewiss.

Freiberufliche Hebammen wie Christina König kämpfen mit immer weiter steigenden Haftpflichtprämien. Sechs Monate pro Jahr arbeitet sie allein für ihre Versicherung. Diese ist Pflicht. Jährlich rund 6 850 Euro überweist die freiberufliche Geburtshelferin. Und die Summe wird weiter steigen. Die Versicherer begründen das mit den steigenden Regressforderungen der Eltern, wenn doch mal etwas schief geht während der Geburt. Bis Ende Juni waren es noch 6 270 Euro – 2004 nur rund 1 370 Euro. Immer mehr Hebammen müssen ihren Beruf aufgeben. Nicht nur das Geburtshaus Bühlau ist davon betroffen, sondern auch die Hebammen aus der Praxis auf der Louisenstraße in der Neustadt kämpfen damit. Im Sächsischen Hebammenverband sind derzeit über 800 Hebammen Mitglied, rund 75 Prozent davon arbeiten freiberuflich. Vorsitzende Grit Kretschmar-Zimmer rechnet mit weiteren Berufsaufgaben. Schon jetzt müssen sich Dresdner Mütter quasi ab Tag eins der Schwangerschaft um eine Hebamme für Vor- und Nachsorge kümmern, sonst haben sie keine Chance. Dresden ist nach Leipzig nach wie vor Geburtenhauptstadt.

Viele Nachsorgetermine

Rund 270 Euro bekommt eine Hebamme von der Krankenkasse für eine sogenannte Beleggeburt. 450 Euro zahlt die Kasse für eine Geburt im Geburtshaus, 445 Euro für eine Hausgeburt. Vier, manchmal auch zehn Geburten betreut sie pro Monat als erste oder zweite Hebamme, erzählt Christina König. Jede Einzelne sei sehr zeitaufwendig, dazu gehören viele Vor- und Nachuntersuchungen. „Es wäre eine Katastrophe für mich, wenn ich auf meine Hebamme verzichten müsste“, erzählt Mama Silke. Das Baby will nicht schlafen, Kinderwagen oder Tragehilfe, nach der Geburt eines Kindes haben Eltern tausend Fragen. Fragen, die bisher vor allem Hebammen in der Vor- und Nachsorge beantworten. Fallen freie Hebammen weg, blieben als Ansprechpartner nur noch ihre Kolleginnen in den Kliniken und die Frauenärzte.

Dort sind die Wartezimmer voll, für lange Gespräche fehlt oft die Zeit. „Natürlich gibt es auch dort kompetente Ansprechpartner, aber die vertrauensvolle Atmosphäre, die wir bei einem Hausbesuch erzeugen, können sie nicht ersetzen“, betont Christina König.

Geschätzte Flexibilität

Die 30-Jährige arbeitet seit Sommer im Bühlauer Geburtshaus und damit das erste Mal in der Selbstständigkeit. Geld zurücklegen oder bei einer Grippe zu Hause bleiben - das kann sich die junge Frau nicht leisten. Jeden Tag, an dem sie nicht arbeitet, verdient sie kein Geld. Dieses Schicksal teilt sie mit vielen Freiberuflern. Trotzdem möchte sie ihren Beruf nicht tauschen, sie schätzt die Flexibilität, sich die Termine selbst einteilen zu können. Sie arbeitet ganz eng mit den Familien zusammen, kann sie vor der Entbindung intensiv kennenlernen. König empfiehlt allen werdenden Eltern, sich so schnell wie möglich eine Hebamme zu suchen. Dann können sie zu ihr und ihren Kolleginnen ins Geburtshaus kommen und sich zur Vorsorge anmelden. Hier berät sie zu allen Fragen, überwacht die Herztöne des Babys und die Wehen der Mütter mit CTG. Einmal in der Woche bietet sie einen Geburtsvorbereitungskurs an. In sieben Sitzungen erzählt sie über den Ablauf der Geburt und die ersten Tage mit dem neuen Familienmitglied. Jede Schwangere darf sich ihre Hebamme selbst aussuchen. Christina König und ihre Kolleginnen sind in den Wochen um den Entbindungstermin auf Rufbereitschaft, falls sich der neue Erdenbürger ankündigt.