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Ausverkauf in Görlitzer Videothek

Die Videothek in Rauschwalde wechselt von Verleih auf Verkauf. Ende April schließt sie. Für einen Weiterbetrieb fehlen die Kunden.

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© nikolaischmidt.de

Von Ralph Schermann

Ach ja“, seufzt Karin Peikert, das war noch ein Film! „Pretty Woman“ hieß er und kam 1990 in die Kinos. Die US-amerikanische Liebeskomödie ist noch heute der Lieblingsfilm Karin Peikerts. Vielleicht deshalb, weil sich mit dem Filmerfolg auch ihr beruflicher Neustart verband? Sie begann 1991 als Videothekarin. Da ließ „Pretty Woman“ die Kunden Schlange stehen.

„Ach ja“, das ist lange her. Was waren das für Zeiten: Wie ab 1980 im Westen schossen Videotheken nach 1990 auch im Osten wie Pilze aus dem Boden. Görlitz machte keine Ausnahme. Wenigstens fünf Objekte zwischen Weinhübel und Königshufen überboten sich anfangs mit bunter Leuchtreklame und verlockenden Filmplakaten in den Schaufenstern. Der Boom fing damals Karin Peikert auf. Als Facharbeiterin für Textilverarbeitung war die Görlitzerin nicht mehr gefragt; ihr bisher auf West-Export orientierter VEB „Elastic-Mieder“ wurde kurz nach der Wende geschlossen.

In einer SZ-Anzeige suchte „Video-World“ Mitarbeiter, sie bewarb sich, wurde angenommen und baute die Videothek auf der Reichenbacher Straße 80 mit auf. Bis heute verwaltet sie den Verleih als mittlerweile einzige Mitarbeiterin ihres Chefs – nach der Trennung von der Kette „Video World“ 2004 als „Video-Eck Rauschwalde“. „Jetzt bewerbe ich mich wieder überall, aber bisher ohne Erfolg“, sagt Karin Peikert. Gern würde sie „wieder irgendwas im Handel“ machen. Denn mit der Videothek ist es vorbei. Jetzt wird verkauft statt verliehen, ab 3,50 Euro für einen Film. „Alles muss raus“, heißt es. Ende April werden 26 Jahre Videoverleih in Rauschwalde Geschichte sein.

Das Sterben dieser Angebote hat schon länger begonnen. Der Interessenverband des Video- und Medienfachhandels in Deutschland (IVD) hat in den vergangenen zehn Jahren die Hälfte seiner Mitglieder verloren. Zurzeit gibt es nur noch rund 1 800 Videotheken in Deutschland. Am Anfang, um 1983, waren es allein in der „alten“ BRD rund 5 000 solche Einrichtungen. Mit 128 Millionen entliehenen Videos standen sie kurzzeitig sogar über den damals 125 Millionen Besuchern in 3 670 Kinos.

Kein Wunder, denn noch waren Kaufkassetten rar und teuer. Dass es dann bald schon bergab ging, lag nicht an den Umstellungen von Videoband-Kassette auf DVD und später Blue Ray, sondern an der aufstrebenden Computerwelt. Sehr bequem kamen Online-Versandvideotheken dazu. Und „Geiz ist geil“, hieß die Devise, als das Internet plötzlich Filme zum Herunterladen anbot. „Auch leiden wir seitdem unter Raubkopien“, bedauert Karin Peikert.

Wenn zum Beispiel jemand fünf, sechs Filme ausleiht und nach wenigen Stunden wieder zurückbringt, also mit der Ausleihgebühr für einen Tag auskommt, weiß sie: „Dann hat der die nur am PC gebrannt.“ Auch die erotische Seite der Videotheken ist längst verblasst. Einst mussten per Gesetz dafür noch extra Räume eingerichtet werden, entstand auch im „Video-Eck Rauschwalde“ neben der Familienausleihe eine kleinere, eigenständige Erwachsenenvideothek mit einem Anfangsbestand von 800 Pornos. „Heute findet jeder, der das will, gratis genug im Internet“, bestätigt die Videothekarin.

Die Branche erweiterte daraufhin ihr Angebot: Neben Filmen gibt es seit reichlich zehn Jahren auch immer mehr Videospiele der unterschiedlichsten Systeme zum Ausleihen. Mittlerweile hilft auch das nicht mehr. „Es gibt Tage, an denen kommt stundenlang kein Kunde vorbei“, bedauert Karin Peikert. Es fehlt der Umsatz, um die 144 Quadratmeter Verkaufs- und Lagerfläche mit bis zu 6 000 Filmen zu betreiben. Mittlerweile fehlen sogar jene 50 Pfennig Strafe, die für jedes nicht zurückgespulte Videoband einst in die Kasse klimperten.

Es fehlen aber auch jene, die damals noch ganz anders Arbeit hatten. „Wir öffneten bis 23 Uhr, als Service für die Schichtarbeiter“, sagt Karin Peikert. Heute sind selbst einstige Stammkunden längst rar geworden.

Wer sich als solcher künftig seinen Videotheken-Besuch nicht von Internet und Bezahlfernsehen kaputtmachen lassen will, dem bleibt nur noch eine Möglichkeit. Seit die Videothek im ehemaligen „Zittauer Keller“ an der Bahnhofstraße 2016 einem Brand zum Opfer fiel, hält sich nur noch „Thunder“ auf dem Wilhelmsplatz. „Wir sind noch da, und wir hoffen, durchzuhalten“, heißt es dort, dennoch wissend, wie schlecht es um die Branche steht.

Und nicht nur ihr. Es verschwinden Telefonzellen, Bandsalat oder Brikettzangen. Videotheken geht es wie den alten VHS-Kassetten – irgendwann war jede abgelaufen. Außer vielleicht „Pretty Woman“. „Ach ja“, seufzt Karin Peikert. Dafür aber braucht es keine Videothek. Ihren Lieblingsfilm besitzt sie natürlich längst als eigene DVD.