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Ausverkauf eines Lebenswerkes

Jahrzehntelang stellte Hans Gerd Mittrach edle Pelzwaren her. Dabei war der Beruf des Kürschners anfangs gar nicht sein Traum.

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© Carmen Schumann

Von Carmen Schumann

Bautzen. Kürschnermeister Hans Gerd Mittrach könnte in diesen Tagen ein Jubiläum feiern. Wie eine Urkunde in seinem Geschäft an der Steinstraße 43 ausweist, erhielt er beim Pelzmodenwettbewerb der DDR am 5. Mai 1988 eine Auszeichnung für eine Pelzjacke aus Kaninchenfell. Sie schaffte es sogar auf das Titelfoto der DDR-Fachzeitschrift „Brühl“.

Doch Hans Gerd Mittrach winkt ab. Die alten Lorbeeren bedeuten ihm nicht mehr viel. Erst kürzlich musste er seinen Sohn Tilo 63-jährig zu Grabe tragen. Er hatte ihm viele Jahre in der Kürschnerwerkstatt zur Seite gestanden. Auch seine Frau Hildegard, die als Pelznäherin den Familienbetrieb komplettierte, ist nicht mehr am Leben. „Nachdem mein Sohn in Rente gegangen war, wollten wir das Geschäft ohnehin schließen“, sagt Mittrach.

Jedes Stück ein kleines Kunstwerk

Doch nun muss er die Abwicklung alleine bewerkstelligen. Das fällt ihm nicht leicht. Schließlich ist er mittlerweile 85. An jedem Stück, das in seinem Laden hängt und noch einen Liebhaber sucht, hängt sein Herzblut. Jetzt verkauft er die Pelzjacken, -kragen und -hüte weit unter ihrem Wert. „Der Ausverkauf läuft noch so lange, wie Ware da ist.“

Jedes Stück Fell, das sich kunstvoll zu einem Kleidungsstück fügt, ist durch Mittrachs Hände gegangen. Es sei tatsächlich ein kleines Kunststück, Felle so zusammenzusetzen, dass die Jacke oder der Mantel ein harmonisches Ganzes bildet. Zwar sei der Beruf des Kürschners mit dem des Schneiders zu vergleichen, aber der Schneider habe es einfacher: Er nimmt ein Stück Stoff, legt das Schnittmuster drüber und schneidet zu. „Unsere Kunst besteht darin, die Naturform des Felles bestmöglich zur Geltung zu bringen“, sagt der Kürschnermeister. Deswegen sehen die Entwurfszeichnungen für den Laien ziemlich kompliziert aus. „Einen Mantel zu berechnen, das ist wie eine Bauzeichnung zu machen“, sagt Hans Gerd Mittrach. Man müsse den Nahtverlust und die Dehnung berücksichtigen und beachten, dass die Unterwolle nicht vorguckt.

Früher acht Kürschner in Bautzen

Seinen Sohn Tilo bildete Hans Gerd Mittrach von 1971 bis 73 selbst aus. Außer in der Armeezeit und einem Wanderjahr war er die ganze Zeit im väterlichen Betrieb beschäftigt. Der Senior selbst erlernte seien Beruf ab 1948 bei Kürschnermeister Kurt Rinke, der in der Reichenstraße ansässig war. „Ich wusste anfangs gar nicht so richtig, was mich erwartete“, sagt Mittrach. Eigentlich wollte er lieber Chemiker werden. Denn auch sein Vater hatte diesen Beruf ausgeübt. Doch da es mit Lehrstellen damals schlecht aussah, habe er genommen, was er kriegen konnte.

Als er sich nach der Ausbildung selbstständig machte, habe es noch acht Kürschnerbetriebe in Bautzen gegeben. Zu seinen besten Zeiten habe er vier Beschäftigte gehabt. Doch mittlerweile sei der Niedergang seines Berufszweiges wohl nicht mehr aufzuhalten. Immerhin kann er einen Rekord für sich verbuchen: Sein Mietvertrag trägt das Datum vom 1. Oktober 1957. So lange hat es wohl kaum ein Gewerbetreibender in Bautzen am selben Ort ausgehalten.