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Ausgebüxtem Pfau geht es gut

Er läuft seinem Herrchen in Mittelherwigsdorf wie ein Hund hinterher. Und vielleicht wird er bald zum ersten Mal Vater.

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© Matthias Weber

Von Holger Gutte

Nur kurz für die Zeitung nimmt Uwe Ketzler seinen Pfau hoch. Dann lässt er dem Tier seine Bewegungsfreiheiten. „Ich bin froh, dass er wieder da ist“, sagt der 58-jährige Mittelherwigsdorfer. Und er bedankt sich bei allen, die sich um seinen Pfau gesorgt und versucht haben, ihn einzufangen. „Ich möchte neben der Gemeindeverwaltung und der Feuerwehr keine Namen nennen, weil ich Angst habe, jemanden zu vergessen“, sagt er. Denn neben Nachbarn, Freunden und Bekannten haben sich auch für ihn wildfremde Menschen um das Wohl des Tieres gesorgt.

Sein siebenjähriges Pfau-Männchen ist in den fünf Jahren, in denen er ihn jetzt hat, schon ein paar Mal über den 1,50 Meter hohen Zaun in Nachbars Garten gesprungen. Das macht er aus dem Stand, ohne seine Flügel dabei zu bewegen. Richtig abgehauen, wie am 26. Juni, ist der Pfau aber noch nie. Uwe Ketzler bekommt das an jenem Tag gerade noch so mit. Es ist um 7.30 Uhr gewesen. Das Taxi steht schon auf seinem Hof in der Straße der Pioniere in Mittelherwigsdorf. Der 58-Jährige muss nach Dresden ins Krankenhaus. Die ganze Fahrt über hat er ein mulmiges Gefühl. Er weiß, dass er ein paar Tage lang nicht zu Hause sein wird. Seine Lebensgefährtin kümmert sich in der Zeit um die Tiere. „Hoffentlich verursacht er keinen Verkehrsunfall“, denkt er. Bis heute fragt sich Uwe Ketzler, warum der Pfau an jenem Morgen so aufgeschreckt war. Er hat nur eine Vermutung. Auf der etwas abschüssigen Wiese im Garten steht ein Hackklotz. Auf dem sitzt der Pfau gerne. Der Holzklotz lag umgestürzt auf der Wiese, als er heimkam.

Manche vermuten auch, er ist wegen ihm ausgebüxt, weil er sein Herrchen vermisst. Denn der Pfau läuft ihm ständig im Garten wie ein treuer Hund hinterher. Aber das glaubt Uwe Ketzler nicht. Schließlich war er noch ein paar Minuten da, als es passiert sein muss.

So, als wäre nichts gewesen, läuft der Pfauenhahn jetzt wieder inmitten von Uwe Ketzlers Rassehühnern. Stolz richtet er seine Federn zu einem Rad auf. Doch das Pfauenweibchen, dem das Imponiergehabe gilt, nimmt davon keine Notiz. „Er hat ein paar Federn verloren, aber sonst geht es ihm gut“, sagt er. Weder Pfauhenne noch der -hahn haben einen Namen. „Ich nenne sie manchmal Schnurri und Jule“, erzählt er. Jule hat gerade drei Eier gelegt. Mal sehen, ob es diesmal mit Nachwuchs klappt. Beim letzten Mal leider nicht. Vermutlich, weil er auch da gerade ins Krankenhaus musste und es mitten in einer Regenzeit passierte. Ein Pfauenweibchen legt nur einmal Eier im Jahr, schildert er.

Geflügel ist Uwe Ketzlers großes Hobby. Schon als Siebenjähriger hatte er zwei Tauben. Seit 1970 ist er Geflügelzüchter. Damals gehörten dem 1869 gegründeten Rassegeflügelzüchterverein Mittelherwigsdorf 120 Mitglieder an. Heute sind es zwölf. Auch wenn er nun nach 36 Jahren die Arbeit im Vorstand abgegeben hat, im Verein ist er immer noch aktiv. Uwe Ketzler züchtet alte deutsche Haubenhühner – Paduaner mit dem Farbschlag chamois und Tauben. Die altdeutschen Mohrenköpfe hält er seit 1970. Dazu haben sich später Mondtauben gesellt. Auch Kaninchen hat er. „Zu den Pfauen bin ich eigentlich durch Zufall gekommen“, erzählt er. Aus einer laschen Bemerkung zu einem Züchter mit den Worten: „Pfauen wären auch was für mich“, ist ernst geworden, als dieser einen zweijährigen Hahn – Schnurri – anbot.

Auch René Kientopp, der Ortswehrleiter der Mittelherwigsdorfer Feuerwehr, ist Geflügelzüchter. Und das kam ihm wahrscheinlich am 5. Juli beim Einfangen des Tieres zugute. „Alle Achtung, wie er das gemacht hat“, sagt Uwe Ketzler. Nach zehn Tagen gelang es René Kientopp, den ausgebüxten Pfau zu fangen. „Du darfst keine Angst haben, nicht zögen und musst sofort seine Flügel an den Körper drücken. Denn wenn er die ausbreitet, kriegst du ihn nicht“, schildert sein Herrchen.

Während Uwe Ketzler in Dresden im Krankenhaus liegt, bringt ihm sein Besuch von zu Hause die Zeitungsausschnitte aus der SZ über seinen Schnurri und die Meldungen von Facebook mit. Als er mitbekommt, dass der Pfau Richtung Oderwitz ausbüxt, denkt er schon, dass er ihn nie wieder sieht. Dann schöpft er aber wieder Hoffnung, als er plötzlich ganz in der Nähe seines Grundstücks auftaucht. Es rührt ihn immer noch, wenn er daran denkt, wie viele Leute sich um den ausgebüxten Pfau Sorgen machten. Als der Vogel beispielsweise im Grundstück bei Familie Seeliger in Mittelherwigsdorf auftaucht, fragen die, mit was sie ihn füttern und wie einfangen können. „Ich habe immer gehofft, dass das Weibchen ihn ruft, er das hört und von selbst zurückkommt“, erzählt er.

Zum Glück macht René Kientopp am 5. Juli alles richtig. Mit seiner Frau Mandy war er an jenem Tag extra auf der Ortsverbindungsstraße von Oberherwigsdorf Richtung Zittau gefahren, wo der Pfau am Vortag zuletzt gesehen wurde. Die beiden entdecken den Pfau an jenem Mittwoch noch ganz in der Nähe auf einer Wiese hinter der Schweinemastanlage. Die beiden treiben ihn in einen Hof und René Kientopp kann das Tier packen. Mit dem Auto fahren sie es die wenigen Meter zum Grundstück des Besitzers, der zu diesem Zeitpunkt noch im Krankenhaus liegt.

Bei Uwe Ketzler ist der Pfau jetzt wieder der Hahn im Hof. Denn selbst der imposante Haubenhuhn-Hahn hat Respekt vor Schnurri. Das Pfaumännchen läuft wie eh und je hinter seinem Herrchen her. Er folgt ihm wie ein Hund auf die Terrasse und harrt neben dem Stuhl von Uwe Ketzler aus. Selbst ihm fremder Besuch wird da akzeptiert. „Ins Haus darf er aber nicht. Das geht zu weit“, sagt Uwe Ketzler und hofft, dass sein Pfau nie wieder ausbüxt. Um das Weibchen muss er sich da keine Sorgen machen. Jule bleibt immer bei den Hühnern und macht keine Ausflüge.