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Aus Liebe zu Pesterwitz

Tilo Harder ist der neue Chef des Kulturvereins. Mit dem Herbst- und Weinfest gibt er seinen Einstand.

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© Thomas Morgenroth

Von Thomas Morgenroth

Freital. Ein spektakulärer Regenbogen spannt sich über das Dorf Pesterwitz, das die Morgensonne in ein warmes Licht taucht. Die St.-Jakobus-Kirche ragt als markantes Bauwerk in den wolkenverhangenen Himmel, unter dem die Häuser wie Spielzeug wirken. Eine Idylle, die sich kein romantischer Maler besser ausdenken könnte, aber es ist alles echt. Tilo Harder hat die herbstliche Landschaft fotografiert, ein seltener Schnappschuss, der ihm im vergangenen Jahr gelang – und dafür musste der Pesterwitzer noch nicht einmal sein Haus auf der Freitaler Straße verlassen.

Der Pesterwitzer Regenbogen ist das Titelbild eines heimatlichen Kalenders für das Jahr 2018. Er ist nicht weniger als eine Liebeserklärung Harders an den Ort, in dem er mit seiner Frau Sigrun und seinem Sohn Maximilian seit sieben Jahren wohnt. Für Pesterwitz ist auch der Erlös aus dem Verkauf bestimmt, für die 950-Jahr-Feier im kommenden Jahr. An deren Organisation ist Harder zudem ganz praktisch beteiligt, als Mitglied im Festverein, den Pfarrer Matthias Koch leitet, vor allem aber als Vorsitzender des Pesterwitzer Kulturvereins.

Tilo Harder, der im Dezember 55 wird, ist noch ganz frisch in seinem Ehrenamt. Erst seit diesem Frühjahr steht er an der Spitze des 2014 gegründeten Kulturvereins, obwohl er das nicht unbedingt wollte. „Der bisherige Vorstand stellte sich aus familiären und beruflichen Gründen nicht mehr zur Wahl“, weiß Harder. Da sagte er schließlich zu, „um das Weinfest zu retten“, sagt er und ergänzt lachend: „Obwohl ich eigentlich Biertrinker bin.“

Vermesser und Regieassistent

Aber das Heimat- und Weinfest am dritten Septemberwochenende, das Tilo Harder nun erstmals verantwortet, ist ja kein Sauffest. Zwar geht es thematisch um den Saft aus den Reben, die zum Beispiel auf dem Gut von Lars Folde in Pesterwitz wachsen, aber mehr noch um ein kulturvolles Programm. Die musikalischen Angebote etwa reichen von Klassik über Rock bis zum Jazz. Schlager kommen eher nicht vor. Dafür Puppenspiel und Theater.

Damit kennt sich Tilo Harder, der aus Scharfenberg bei Meißen stammt, bestens aus. Der Sohn eines Lehrerehepaares wäre beinahe selbst Schauspieler geworden und hatte viele Jahre beruflich mit dem Theater zu tun. Das musische Rüstzeug legte ihm vor allem sein Vater in die Wiege. Klaus Harder spielte im Arbeitertheater Meißen unter anderem den Faust, war fünf Jahre lang Kulturredakteur bei der Sächsischen Zeitung und schließlich Chef der Gewerkschaft Kunst in Berlin. Als seine Eltern in die Hauptstadt zogen, blieb Tilo Harder in Sachsen – er war ja bereits mit seiner Lehre fertig und stand auf eigenen Füßen.

Das Theater gehörte da noch nicht zu seinen größten Leidenschaften. „Am liebsten hätte ich in Scharfenberg einen eigenen Zoo eröffnet, wäre auf Expeditionen gegangen oder zur See gefahren“, erinnert er sich an seine Jugendträume. Weil das alles nicht ging, wollte Harder wenigstens die Welt sehen – als Maschinen- und Anlagenmonteur des VEB Planeta in Radebeul, der damals seine Druckmaschinen in achtzig Länder lieferte und mit den eigenen Leuten aufbaute. Aber die Firma wollte ihn nicht, da wurde Tilo Harder Vermesser: „Da war ich wenigstens immer draußen.“

Über die Geodäsie kam er dann doch noch zum Theater. Harder begann an der Technischen Universität Dresden ein Studium – und versuchte sich nebenbei an der Studentenbühne als Schauspieler. Einer seiner Regisseure war Manuel Schöbel, heute Intendant der Landesbühnen Sachsen. Tilo Harder hatte Blut geleckt. „Ich schmiss die Geodäsie hin und bewarb mich in Berlin und Rostock um ein Schauspielstudium.“ Und wurde abgelehnt – aus Altersgründen, dabei war er erst 23. „Mir wurde empfohlen, doch lieber Regie zu führen“, sagt er. Und das tat er dann auch, ohne noch einmal zu studieren.

„Das singende, springende Löweneckerchen“ war seine erste Regiearbeit an der Studentenbühne. Mit „Tango“ bekam Harder später sogar eine Auszeichnung. Hauptberuflich war er nun Bühnentechniker beim Staatsschauspiel, bis ihn Manuel Schöbel 1990 als Regieassistent an das Theater der Jungen Generation holte. Sieben Jahre später wechselte Harder in gleicher Funktion an das Staatsschauspiel – und musste gehen, als der neue Intendant Holk Freytag kam und seinen „eigenen Hofstaat“ mitbrachte, wie Harder es nennt. Ein in der Branche üblicher Vorgang, der für Tilo Harder 2001 allerdings das Ende seiner Theaterkarriere bedeutete.

Weil die Angebote ausblieben und er nicht aus Dresden wegwollte – er war gerade Vater geworden – entschloss er sich zu einer Weiterbildung zum Zeitschriftenredakteur. Harder fand Gefallen am Journalismus und begann als Pauschalist in der Lokalredaktion Freital der Sächsischen Zeitung. Da ist er heute noch, schreibt, fotografiert und redigiert, ist redaktionell vor allem für Beilagen verantwortlich.

Gelegentlich schreibt er fürs Feuilleton eine Theaterrezension, aber zum Schauspielern oder Regieführen fehlt ihm die Zeit. Nun erst recht, mit seinem Ehrenamt, das ihm sichtlich Freude macht. In Pesterwitz hat Tilo Harder seine neue Heimat gefunden. „Ich mag das dörfliche Leben, das Miteinander, wo jeder jeden kennt, da will ich mich einbringen“, sagt er. Und er liebt den Ausblick von seinem Balkon. Er schaut auf die sonnenbeschienene Kirche und sinniert: „Eigentlich brauche ich nicht einmal mehr in den Urlaub zu fahren, so schön ist es hier.“ Auch ohne Regenbogen.