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Aus gutem Grund

Annett Höher führt in Freital ein Lokal mit angeschlossenem Bauernhof. Was Ställe, Feld und Garten bieten, kommt im Gasthaus frisch auf den Tisch.

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© Marko Förster

Von Jörg Stock

Freital. Es gibt Betriebe, in denen läuft es ohne Chef besser als mit. Das Gasthaus „Zum Rabenauer Grund“ gehört nicht dazu. Hier kommen manche Gäste nur unter der Bedingung, dass die Chefin serviert. Sie heißt Annett Höher und mag es persönlich. Sie quatscht einfach gern, über Bücher, über Filme, über Gott und die Welt. Wieso auch nicht? Es ist doch das Sprechen, das den Menschen vom Tier unterscheidet, sagt sie. Nein, sie ist wirklich nicht auf den Mund gefallen. Und wenn ein Gast sie ärgert, sich grußlos ins Lokal fläzt, dann sagt sie ihm Bescheid. Viele ertragen das nicht, das weiß sie. Aber der Job ist hart genug. „Da muss es auch Spaß machen.“

Das Lokal liegt am Südzipfel Freitals, dort, wo die Rote Weißeritz aus dem Dämmer des Rabenauer Grundes hervormurmelt. Ein guter Platz zum Ausspannen, zumindest 1863, im Jahr des Baus. Da führte hier, am Somsdorfer Berg, der Handelsweg aus dem Freibergischen in Richtung Dresden vorüber. Fuhrleute und Pferde fanden Proviant und ein Nachtlager. Heute ist es eine stille Ecke. Aber der Laden läuft. Es sind sogar meistens Dresdner, um die 80 Prozent, die hierher kommen – Mittelständler, Intellektuelle, Künstler, auch Politiker. Einmal war Tillich mit dem ganzen Kabinett da, berichtet Frau Höher. Politiker sind ja nicht unbedingt ihre Zielgruppe. Die müssen sich immer präsentieren, sagt sie. „Die können nicht genießen.“

Dass der Genuss im Rabenauer Grund hochgehalten wird, sieht man schon von außen. Knallrote Empfehlungssiegel vom Gourmetführer „Gault Michelin“ kleben neben der Eingangstür im Fenster. Es sind so viele, dass man kaum noch hindurchgucken kann. Einen Stern hat das Lokal nicht. Den will Frau Höher auch gar nicht haben. Den Stern kriegt der Koch. Aber der Erfolg steht doch allen zu, findet sie. Sie liefert die Ideen und die Jungs in der Küche sorgen dafür, dass man die Ideen essen kann. „Wir sind ein Team.“

In der Küche ist das Team schon in Wallung. Jens Birkholz, 47, schmale Gestalt, trockener Humor, besorgt die Hauptgerichte, Paul Lohse, 22, stabil gebaut, ein stiller Arbeiter, hat Vorspeisen und Desserts als Domäne. Während Paul in einer rustikalen Pfanne Weißbrotscheiben für das „Stramme Mäxchen“, eine Miniatur der legendären Kneipenspeise, röstet, bearbeitet Jens unnachgiebig einen Batzen Teig. Das wird der Brotnachschub. Gut durchkneten ist das A und O, sagt er. Brot bäckt man hier jeden Tag, meist ein ganzes Kilo. Manchmal sind es auch vier. Dann braucht der Koch eine größere Tischplatte.

Wettlauf am Holunderbusch

Den Weizen fürs Brot sähen die Wirtsleute selbst. Sie haben auch das Galloway-Rind, das in mundgerechten Stücken auf dem Herd schmort, persönlich aufgezogen. Die Rote-Beete-Knolle, die gleich püriert in die Pasta wandert, stammt aus dem eigenen Garten. Der Kochschinken fürs „Stramme Mäxchen“ lief einst mit einem Schwein der Höhers umher. Das Ei auf der Schinkenscheibe haben Höhersche Wachteln gelegt. Und wenn Paul gleich die Sahne für die Panna cotta heiß macht, werden die von Annett Höher geernteten Holunderbeeren hineingerührt. Sechzig Kilo Holunder hat die Chefin in dieser Saison schon angeschleppt. Sie muss sich ranhalten. Die Vögel sind gnadenlose Konkurrenten.

So wie Annett Höher, Lehrerin für Deutsch und Geschichte, das Bewirten zu ihrem Lebensinhalt gemacht hat, so übt ihr Mann Wolfgang, ein Verkehrstechniker, sein Hobby hauptberuflich aus: die Landwirtschaft. Deshalb hat das Gasthaus „Zum Rabenauer Grund“ seinen eigenen Bauernhof. Der Bio-Betrieb mit 30 Hektar Land steht in Lampersdorf bei Klipphausen und liefert mehr als die Hälfte der Waren, die das Lokal verbraucht. Nicht nur was im Stall, im Garten und auf dem Feld gedeiht, wird genutzt, nein, alles, was die Landschaft hergibt, ob Schlehen, Hagebutten oder Esskastanien. Und was die Leute an Früchten übrig haben, auch. Die „Höhern“ vertut’s schon, das wissen sie, sagt die Chefin, breit lächelnd. „Ich bin gut vernetzt.“

Jens hat den Teig gewechselt, von Brot zu Pasta. Der Plinsen, vom Rübenbrei lila eingefärbt, wird durch die Mangel der Nudelmaschine gedreht, wieder und wieder, was ihn lang und dünn macht. Jens ist seit acht Jahren im „Rabenauer Grund“. Er mag es, Dinge selber herzustellen. Der „Mäxchen“-Schinken – drei Wochen in Pökellake gebadet, dann sachte blanchiert – ist sein Werk. Zu Hause produziert er gern eigenes Sauerkraut. Angefangen mit Kochen hat er grundsolide, in der Betriebskantine des Freitaler Stahlwerks. Anderthalbtausend Essen, allein für die Frühschicht. Auch damals wurde viel selber gemacht – weil es nicht anders ging. Pro Woche zerlegte man dreißig halbe Schweine. Eine harte Schule, sagt Jens, „gute alte Schule“.

Kellnern im Nebel

Annett Höher hat, gastronomisch gesehen, fast denselben Ausgangspunkt, wie ihr Küchenchef. Noch im Studium wurde sie Bedienerin in der berühmt-berüchtigten Freitaler Bahnhofskneipe „De Viere“, die gleich vor den Stahlwerkstoren lag. Die Schichtarbeiter, froh, den Tag überstanden zu haben, kippten dort ihre Biere, bevor sie den Bus nach Hause bestiegen. Am Ofen gehärtete Männer waren das, eingehüllt in graue Tabaksschwaden, die, so schien es, den Alkohol kaum noch spürten.

Es war ein langer und steiniger Weg für Annett Höher von Bowu und Pfeffi in der „Viere“ bis zum Feinschmeckerlokal mit einem Fensterglas voller Michelin-Plaketten. Fast wäre sie zwischendrin kaputt gegangen, sagt sie. Aber nur fast. Sie hat sich durchgebissen. Ehrgeiz besaß sie immer. Schon als Schulmädchen lernte sie, sich die Achtung der anderen zu erarbeiten. Als die Familie für einige Jahre nach Henningsdorf bei Berlin zog, imponierte ihr die „preußische“ Mentalität. Anfangen, statt sich ausruhen, sich entwickeln, statt auf der Stelle treten – bis heute sind das ihre Glaubenssätze. „Ich bin ein Macher.“

Annett Höher langt sich einen Löffel, kostet die Dessertsahne, die auf dem Herd anfängt zu blubbern. Da kann mehr Honig rein, findet sie, eigener natürlich, von einem ihrer elf Völker. Die Chefin guckt häufig in die Töpfe, vor allem dann, wenn neue Gerichte auf die Karte kommen. Dann probiert sie jede Kleinigkeit, jedes Brotstückchen, jedes Dressing. Und wenn es nicht so schmeckt, wie sie es sich vorstellt, dann muss es geändert werden. Das macht sie dann gern mal selber.

Woher die Inspiration? Von Dienstreisen zu Spitzenköchen etwa. Annett Höher fährt mit ihren Leuten zu Tim Mälzer nach Hamburg, zu Kolja Kleeberg nach Berlin und sogar zu Jamie Oliver nach London. Jeder kann kochen, sagt „Sir Jamie“. Recht hat er, findet Frau Höher. Als Teenager war sie unfähig, einen Topf Wasser heiß zu machen. Heute kocht sie auf ihrem Privatherd für zehn Leute. Man darf das Kochen nicht als Last empfinden, das ist das Entscheidende. „Ich mach’ das wirklich gern.“

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