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Aus der Spur

Die Verkehrssicherheit in Brasilien ist so eine Sache. Unfälle sieht man kaum, und doch gibt es schreckliche Meldungen.

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© Tino Meyer

Rio de Janeiro. Die Sicherheit ist und bleibt das Thema in Rio. Von den Uniformierten mit angelegten Gewehren ist an dieser Stelle schon oft genug die Rede gewesen, doch um diese Sicherheit geht es diesmal nicht. Sowohl Terrorismus als auch Kriminalität haben die Organisatoren offenbar im Griff. Was einen zunehmend beschäftigt, ist die Verkehrssicherheit.

Einen Großteil des Tages verbringe ich in Bussen und manchmal auch in Taxis. Das hat mit den langen Wegen zwischen den Sportstätten zu tun. Eine knappe halbe Stunde dauert es von meiner Olympia-WG bis in den Olympiapark. Von dort geht es dann weiter mit einem der offiziellen Shuttles bis ins Leichtathletik-Stadion oder auch zum Beachvolleyball an der Copacabana, nochmal 30 bis 45 Minuten. Und bei der mitunter ruppigen Fahrweise werden die Gedanken regelmäßig ordentlich durchgeschüttelt.

Die wichtigsten Utensilien im Straßenverkehr von Rio scheinen ohnehin Gas, Bremse und Hupe zu sein. Der regelmäßige Spurwechsel gehört unbedingt dazu wie das gelegentliche Benutzen des Handys. Passiert in Deutschland bestimmt auch, aber nicht mit dieser Rasanz, Konsequenz und Geschwindigkeit. Von rechts nach links in die nächste Lücke springen, dicht auf den Vordermann auffahren, hart abbremsen, dann wieder zurück in die andere Spur. Ein gewöhnungsbedürftiges Durcheinander ist das jeden Tag nicht nur auf der Avenida das Americas, einer vielbefahrener sechsspurige Straße durch den Stadtteil Barra da Tijuca.

Nicht mehr aus dem Kopf kriege ich auch die Beobachtung, als ich an der Bushaltestelle stehe: Zwei Autos fahren zügig nebeneinander, werden aber von einem Moped überholt - auf dem Mittelstreifen zwischen beiden PKW. Echt unglaublich. Und krass, dass trotzdem keine Unfälle passieren - sage ich noch zu meinem Kollegen, als ich ihm am vergangenen Donnerstagabend auf dem Weg ins Deutsche Haus davon erzähle. Nicht mal Blechschäden sind zu sehen, abgesehen von dem einen Fahrzeug mit dem Rio2016-Zeichen auf der völlig zerbeulten Fahrerseite.

Neun Stunden später verunglückt Stefan Henze, Trainer der deutschen Slalomkanuten, in einem Taxi auf der Avenida das Americas so schwer, dass der 35-jährige Hallenser am Montag verstirbt. Trainingswissenschaftler Christian Käding, mit dem Henze unterwegs gewesen ist, hat Glück im Unglück. Er erleidet leichte Verletzungen.

Das schüttelt nicht nur die Gedanken. Unmut über vierte, fünfte Plätze ist plötzlich unangebracht, Ärger über das teilweise chaotische Transsportsystem so was von überflüssig.

Die beiden Freunde sind nach der Abschiedsparty im Deutschen Haus noch auf einen Abstecher in die Stadt gefahren. Für den Tag danach ist der Rückflug nach Deutschland gebucht. Doch auf dem Heimweg ins Olympische Dorf passiert der Unfall. Das Taxi kracht aus bislang ungeklärten Gründen gegen eine Straßenlaterne oder eine Mauer - da gehen die Meldungen auseinander. Bekannt sind indes die Zahlen der Unfallstatistik. Von 350 Unfallopfern, die monatlich in das Krankenhaus von Barra eingeliefert werden, schreibt Spiegel online. Insgesamt meldet Brasilien jedes Jahr rund 35 000 Verkehrstote. In Deutschland, wo es deutlich weniger Menschen, aber gemessen an der Einwohnerzahl viel mehr Auto gibt, sind es rund 3 500.

An den olympischen Sportstätten in Rio wehen die deutschen Flaggen an diesem Dienstag auf halbmast. Und auch die Stimmung in der Olympia-WG ist irgendwie gedrückt. Das hat nicht nur mit dem nach zwei intensiven Arbeitswochen aufkommenden Brasilienblues zu tun.

›› Tino Meyers Olympia-Tagebuch aus Rio