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Aus der Schuttgrube in die Heimatstube

Einen ungewöhnlichen Weg hat die Groß Radischer Schulchronik hinter sich. Eine Familie rettete und bewahrte sie. Bald wird sie die Öffentlichkeit sehen können.

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© Bernhard Donke

Von Bernhard Donke und Steffen Gerhardt

Groß Radisch. Am Montag kehrte sie in die Gemeinde zurück aus der sie stammt:. Die Schulchronik der ehemaligen Evangelischen Volksschule in Groß Radisch. In dem heute noch stehenden Schulgebäude, das inzwischen die Ortschaftsverwaltung beherbergt, wird sie nicht mehr aufbewahrt werden. Stattdessen kommt sie in die Heimatstube Hohendubrau und soll ausgestellt werden. Bernhard Donke, Mitglied der Interessengruppe Heimatstube, holte die Chronik in Form eines handgeschriebenen Buches in Din-A4-Format am Montag bei einer Frau ab, die den Schatz über Jahrzehnte aufbewahrte.

Wie dieses Buch in die Hände der Familie kam, erzählt die heute 68-jährige Roswitha Großhäuser unserem Autor: Ihre Tochter Babett verbrachte in den 1970er Jahren ihre Ferien bei den Großeltern in Groß Radisch. Und wie das so ist mit den Ferienkindern, sie gehen gern auf Entdeckungstour – und da reizte nicht nur der Moser-Teich, sondern auch die daneben liegende Schuttgrube zu Besuchen. „Meine Tochter stöberte dort herum und fand ein großes Buch. Als sie es aufschlug, war sie von der feinen und sauberen Schrift fasziniert und nahm das Buch mit“, erzählt die in Löbau lebende Mutter.

Das Buch gab Babett ihrem Opa Erich Pallmann, der es die Jahre über aufbewahrte. Nach seinem und dem Tod seiner Frau nahm Tochter Roswitha Großhäuser, die in Groß Radisch ihre Kindheit und Jugend verbrachte, die Chronik an sich und bewahrte sie sorgfältig auf. „Obwohl ich seit 1969 von Groß Radisch nach Löbau weggezogen bin, habe ich immer noch eine sehr emotionale Bindung an Groß Radisch. Deshalb denke ich, es ist die richtige Entscheidung, die Chronik der Heimatstube Hohendubrau zu übergeben.“ Das kann Bernhard Donke als Verantwortlicher der Einrichtung nur befürworten: „Wir erhalten ein sehr wertvolles und wichtiges Dokument. Das enthält viele interessante und bisher unbekannte Ereignisse und Nachrichten von der Groß Radischer Schule, aber auch über das Leben im Dorf. Wir freuen uns, dass damit eine Geschichtslücke um die Dorfschule geschlossen wird.“

Inzwischen hat Bernhard Donke die Chronik durchgeblättert und findet darin die ganze Geschichte der Ortsschule von ihrer Gründung 1699 bis 1945 wieder. Aufgeschrieben wurde die Historie ab 1905 durch den 1. Lehrer und Kantor Fritz Hanisch. Bis zu Beginn der 1940er Jahre führte er die Chronik nicht nur zur Schule, sondern auch zu den Geschehnissen im Ort fort. Dann wechselt die Handschrift und ein anderer Lehrer muss Hanischs Aufgabe übernommen haben.

Das Interessante an der Chronik, so Bernhard Donke, sind die Lebensläufe der Lehrer, die bis 1945 unterrichtet haben. So war zum Beispiel der erste Lehrer 50 Jahre an der Schule beschäftigt. Von 1699 bis 1749 lehrte Johann Krizian den Mädchen und Jungen das Einmaleins. Aber auch große und kleine Ereignisse sind vermerkt, wie der Großbrand 1934 in Groß Radisch, der viel Schaden im Dorf anrichtete.

Wie diese historisch wertvolle Chronik vor knapp fünfzig Jahren in dem Schuttloch gelandet ist, darauf kann sich Roswitha Großhäuser keinen Reim darauf machen. Bernhard Donke vermutet, dass das mit der Schließung der Groß Radischer Schule zu tun hat. Sie stellte 1966 den Unterricht ein. Die Schüler wurden fortan in der Gebelziger Schule unterrichtet. Beim Ausräumen des Schulgebäudes habe man es sich einfach gemacht und sicherlich vieles in die nahe liegende Schuttgrube gefahren, so auch die Chronik. Denn wer interessierte sich in der DDR für aufgeschriebene Schulgeschichte, die in der Nazizeit und davor passierte? Von den Bildungsträgern wohl niemand. Umso erfreulicher ist, dass ein Schulmädchen das Buch gefunden hat, auch wenn es für sie nur die Handschrift war, die ihr so gefallen hat.